Apostrophe – Katastrophe

’s ist ’ne Krux mit dem Apostroph. Dabei wär’s ganz einfach. Das Auslassungszeichen steht im Deutschen für etwas Weggelassenes, meistens für das «e» des Pronomens «es». Wenn hingegen ein Artikel mit einer Präposition verschmilzt, braucht es den Apostroph definitiv nicht. Also heisst es: aufs, ins, fürs, ums, hinterm, übern, beim … usw. Auch die gängigen Imperativformen (Lass es!) oder Pluralformen von Abkürzungen (PHs, DVDs, CEOs) kommen ohne den Apostroph aus.

Dieter E. Zimmer hat sich schon 1995 in der Zeit beklagt, dass der Apostroph nicht nur beim Genitiv falsch gesetzt wird, sondern neuerdings sogar zwischen Wortstamm und Plural-s drängt. Wen wundert’s also, dass auf Speise- und Getränkekarten «Tee’s» oder – noch schlimmer – «Spaghetti’s» angeboten werden? Zehn Jahre später hat auch Bastian Sick dem Deppen-Apostroph den Kampf angesagt. Aber was hilft’s? Als ich vor kurzem eine neue App der Post installiert habe, gab’s schon vor dem Login zwei falsche Apostrophe gratis mit dazu. Schlechte Noten fürs Kundenzentrum.

apostroph_Postapp

Aber es ist noch nicht lange her, da war in den FAQs auf der NZZ-Website zu lesen:

NZZ_Deppenapostroph

Traurig, aber wahr. Nicht einmal ein wissenschaftlicher Verlag ist gegen die falsche Verwendung gefeit:

utb_Apostroph

Hier hat man’s sogar geschafft, typografisch komplett danebenzugreifen. Der Apostroph sollte nämlich wie eine kleine Neun geformt sein. Wenn überhaupt, dann hat er mehr Ähnlichkeit mit dem französischen Accent aigu, aber auch das hat einen Haken. Auf meiner alten Underwood-Schreibmaschine taugt die entsprechende Taste sogar als Eselsbrücke:

Taste_Apostroph_9

Deshalb: Wer ganz auf den Apostroph verzichtet, macht eindeutig weniger Fehler. (Laut Duden gehts sogar beim «es».)


Sick, Bastian. 2005. «Deutschland, deine Apostroph’s.» In Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache, 29–34. Köln: Kiepenheuer und Witsch.

Zimmer, Dieter E. 1995. «Begegnung mit dem Deutsch von morgen.» Die Zeit, 19. Mai. http://www.zeit.de/1995/21/Begegnung_mit_dem_Deutsch_von_morgen.

Gebrochene Gebote #2 – K. Abk. u. Sonderz.

Nach den Alliterationen geht des nun den Abkürzungen an den Kragen.

Zeit und Druckerschwärze, die wir beim Schreiben mit Abkürzungen sparen, können den Text sperrig oder unzugänglich machen. Lesen wird zum Hindernislauf. Also Finger weg von Abkürzungen und Sonderzeichen!

#2 Verf. usw. sollten allg. auf Abk. u. dgl. verzichten & Et-Zeichen o. Ä. meiden.

Auch hier finden sich in der Literatur Zuwiderhandlungen. Das fängt schon im 18. Jh. b. Laurence Sterne und seinem Tristram Shandy an:
«&c. &c.—und dergleichen mehr :—», wie es z.B. i. d. trefflichen Übers. v. Michael Walter heisst.

Und was Arno Schmidt in Zettels Traum mit mit Sonderzeichen und Auslassungen anstellt, ist kaum zu überbieten:

(? –) : »Ganz=winzij’n Moment nur … (: dreh langsam, 1 Mal, den Kopf in die Wunder einer anderen AtmoSfäre … (?) – : nu, ne Sonne von GoldPapier, mit roth’n Bakkn et=caetera ?)) – : verfolg ma das WasserlinsnBlättchin, Franziska=ja ? – (?) – : Ganz=recht; (Ch kuck aufdii Uhr). –«; (und knien; am WegeGrabm, zu Anfang des Schauerfeld’s) : »Ch wollt die StrömungsGeschwindichkeit ma wissn : Wir habm Zeit, individuell zu sein, gelt Fränzi?« « (Und erneut zu W, /

Anm.: Aber warten wir mal ab, was SMS-Texte und Twitter-Romane noch an typografischen Tändeleien für uns bereithalten :))


Schmidt, Arno. Zettel’s Traum. Ein Lesebuch. Herausgegeben von Bernd Rauschenbach. Mit einführenden Texten von Susanne Fischer. Berlin: Suhrkamp, 2020.

Sterne, Laurence. Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman. Neu übers. v. Michael Walter. Zürich: Haffmans, 1983–1991. 

Imaginäre Bibliothek

Was haben Romane wie Arsonist’s Daughter von Grady Tripp, Dream House von Peter Ward, Heartbroken Old Times von Calvin Weir-Fields oder Descent von Noah Solloway gemeinsam? – Sie alle waren erfolgreich, standen auf Bestsellerlisten oder wurden mit namhaften Preisen ausgezeichnet. Aber nicht nur das. All diese Romane gibt es gar nicht – jedenfalls nicht im Buchhandel. Sie kommen nur in der Fiktion vor, denn ihre Autoren sind selber Figuren aus Filmen, TV-Serien und Romanen.

Umso witziger, dass es zu vielen dieser fiktiven Romane oft doch reale Cover-Abbildungen gibt. Für den Film Listen Up, Philip (Alex Ross Perry, 2014) existiert sogar eine ganze Galerie von Buchumschlägen:

Ashley_Photos

Philip_ObidantFawn_The_Exploding_Head_Trick

ZimmermanZimmerman_A_Daughters_Point-of-View

Ein paar Regale in meiner Bibliothek sind für solche Titel reserviert. Da die Bücher ebenso fiktiv wie virtuell sind, brauchen sie kaum Platz. Es sei denn, ich entschliesse mich dazu, passende Attrappen anfertigen zu lassen – so wie das Charles Dickens getan hat: Als er 1851 in sein neues Heim Tavistock House zog, beauftragte er seinen Buchbinder Thomas Robert Eeles, für die leeren Regale dekorative Buchattrappen herzustellen. Dabei dachte ich immer, Buchattrappen seien eine Erfindung der Möbelhäuser und Messehallen.

dickens_Books

Siehe auch den Beitrag «Verworfene Titel».

Gebrochene Gebote #1 – Alliteration

An Empfehlungen für gute Texte fehlt es nicht. Wie bei Kurt Tucholskys «Ratschlägen für einen schlechten Redner» macht die Sache aber mit Ironie und Widerspruch erst Spass. In seiner Kolumne «On Language» hat William Safire 1979 im New York Times Magazine 36 «Fumblerules of Grammar» aufgestellt und dem Thema später ein ganzes Buch gewidmet. Hier sieben Kostproben seiner «ungeschickten Grammatikregeln» (in der Übersetzung von Oskar Rauch):

«Keine Halbsätze.»
«Seien Sie sparsam mit Ausrufezeichen!!!»
«Lesen Sie sorgfältig Korrektur, um sicherzugehen, dass keine Wörter ausgelassen haben.»
«Hände hoch vor falschen Redewendungen.»
«Variieren Sie bei der Wortwahl, denn Varianten sorgen für Variation.»
«Packen Sie den Stier bei der Hand, die ihn füttert, und vermeiden Sie es, Redewendungen zu mischen.»
«Vermeiden Sie Zitate. Wie sagt schon Ralph Waldo Emerson: ‹Ich hasse Zitate. Sagen Sie mir lieber, was Sie selbst wissen.›»

(Quelle: Usher 2015, 189–191)

In der Juni-Ausgabe 1986 von Writer’s Digest legt Frank L. Visco eine ähnliche Liste vor, die in unterschiedlichen Versionen im Netz kursiert.
In (geplanten) zehn Beirägen will ich mich aus diesem reichen Schatz selbstironischer Regeln bedienen und meine Version jeweils durch ungehorsame Beispiele aus der Literatur ergänzen. Eine Regel für Autorinnen und Autoren lautet ja: Kenne die Regeln und brich sie.

Den Anfang macht der Anreim:

#1 Allen Alliterationen abschwören. Ausnahmslos.

Keine Ahnung, warum der gute alte Stabreim in Ungnade gefallen ist. Ich schätze ihn über alles.
Wirkt der deutsche Titel Drachen, Doppelgänger und Dämonen von Oliver Sacks’ Buch Hallucinations nicht passender und weniger prosaisch als das Original? Oder nehmen wir den rhythmisch-stabreimenden letzten Satz aus F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby: «So we beat on, boats against the current, borne back ceaselessly into the past.» Auch Truman Capote schliesst seinen Tatsachenroman Kaltblütig mit einem kraftvoll alliterativem Schlusssatz: «Dann machte er sich auf den Heimweg, unter den Bäumen hindurch, und liess den weiten Himmel hinter sich, das Wispern des Windes im wogenden Weizen.»

Walter Abish baut in seinem Roman Alphabetical Africa sein erstes Kapitel sogar ausschliesslich aus Wörtern mit A: «Abermals Afrika: Als Albert ankommt, angeregt argumentiert, afrikanische Ausstellungskunst abhandelt, an afrikanischer Angst auseinandersetzt, aber auch, ach, ausgerechnet Ashanti-Architektur angreift …» (Lodge 1998, 157).

Bewusst eingesetzt treten Alliterationen akzentuiert gegen Alltagsgelaber an und vermögen Absätze ausdrucksmächtig aufzuladen.

Postscriptum:
Die Verlockung war zu gross. So habe ich selbst den Versuch unternommen, eine alliterative Geschichte als Tautogramm zu verfassen: «Adeles Aufstieg». Sie umfasst 430 Wörter und beginnt so:

Adele Abderhalden, Adoptivtochter alteingesessener Apotheker aus Affoltern am Albis, arbeitet Anfang Achtzigerjahre aushilfsweise als Aupairmädchen aristokratischer Aargauer. Angenehme Aufgaben. Ausserdem allerhand Annehmlichkeiten: aparte Attikawohnung, Auto auf Abruf, allabendlicher Ausgang. Andererseits auch aufreibend. Arbeitgeber ausgesprochen angetan, aber arrogant. Aufgrund altertümlicher Auffassungen Adeles adrettes Aussehen als Aufforderung ausgelegt – also andauernde Anmache, Anzüglichkeiten aller Art, auch anstössige Anspielungen auf Adeles aufreizenden A…


Abish, Walter. Alphabetical Africa / Alphabetisches Afrika. Amerikanisch und Deutsch. Übersetzt von Jürg Laederach. Schupfart: Engeler Verlag, 2002. 

Capote, Truman. Kaltblütig: Wahrheitsgemässer Bericht über einen mehrfachen Mord und seine Folgen. Aus dem Amerikanischen von Thomas Mohr. Hrsg. v. Anuschka Roshani. Zürich: Kein & Aber, 2007. 

Lodge, David. Die Kunst des Erzählens. Illustriert anhand von Beispielen aus klassischen und modernen Texten. Aus dem Englischen von Daniel Ammann. Zürich: Haffmans, 1993. / München u. Zürich: Diana (Heyne), 1998. 

Sacks, Oliver. Drachen, Doppelgänger und Dämonen: Über Menschen mit Halluzinationen. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2013.
Kurzrezension «Wenn das Gehirn die Wirklichkeit manipuliert.» ph akzente 2 (2013): S. 30. 

Usher, Shaun, Hrsg. Lists of Note: Aufzeichnungen, die die Welt bedeuten. München: Heyne, 2015.
Kurzrezension «Bemerkenswerte Listen.» in ph akzente 1 (2016): S. 34. 

Magoria by Daniel Ammann