Ermutigung zum Schreiben

Ermutigung zum Schreiben

Entlang ihrer persönlichen Schreibbiografie gewährt uns die Autorin Milena Moser Einblick in ihren holprigen Werdegang, lässt uns offen und humorvoll an Alltags- und Schreiberfahrungen teilhaben und bietet in Kombination mit Übungen, Ratschlägen und Überlebenstipps genau das, was der Untertitel verspricht: Eine Ermutigung.

Es gibt nach meiner Beobachtung vor allem zwei Arten von Schreibratgebern. Die einen kommen als Pep-Talk daher, animieren zum Schreiben, liefern Prompts und geben Tipps, wie man anfängt, wie man dranbleibt, wie man das Schreiben in den Alltag integriert. Keine Zeit zum Schreiben? Steh halt früher auf, take a break, geh später schlafen. Es ist wie mit dem Meditieren oder dem Sport: Falls dir wirklich etwas daran liegt, hör auf zu träumen und zu lamentieren. Fang endlich an! Das meint auch der Künstler Mark Staff Brandl unter dem Motto «Shut up and paint!». Sinngemäss sind damit alle Kreaktiven angesprochen, also auch die Schreibwilligen und Möchtegern-Autor:innen. «Einfach anfangen», heisst es deshalb auch bei Milena Moser: «Was im Kopf ist, kommt aufs Papier.» Aber damit ist es nicht getan, denn nach wie vor gilt in allen Disziplinen: Learning by doing. Das erfordert bewusstes Üben und eine gehörige Portion Durchhaltewillen. Denn wie die Expertiseforschung zeigt, sind Erfolg und Meisterschaft nicht bloss eine Frage des Talents oder der Inspiration.

Hier kommt der zweite Typ von Schreibratgeber ins Spiel. Man setzt sich nicht nur mal so hin und bekommt dafür den Nobelpreis – auch wenn dieser Genie-Mythos immer noch unser Denken beseelt und die Plots zahlreicher Biopics dominiert. Prompts, Warmups und Lockerungsübungen helfen dem Schreiben und der Kreativität zwar auf die Sprünge und halten die Textproduktion in Gang. Aber wenn man es ernst meint, braucht es auch handwerkliches Können, also Feedback von aussen und Arbeit am Text.

«Meinst du es ernst?»

Wenn andere die Freude an den entstehenden Texte teilen sollen, wenn man sich Leserinnen und Leser, vielleicht sogar einen professionellen Verlag wünscht, hat man noch ein grosses Stück Arbeit vor sich (die, wohlgemerkt, ebenfalls Spass machen kann). «Fertig bin ich noch lange nicht», sagt Milena Moser. Als Leser:innen sehen wir nur die fertigen Produkte um Buchhandel und in den Bibliotheken. Das mehrmalige Überarbeiten, die verworfenen Versionen und all die gescheiterten Manuskripte bekommen wir in der Regel nicht zu Gesicht. In unzähligen Spielfilmen über reale und fiktive Autor:innen wird dieser Teil gern ausgespart. Nach der Durststrecke der Schreibblockade, nach überstandenen Lebenskrisen werden die Texte im Feuereifer in die Schreibmaschine gehämmert, der Federkiel saust übers Papier, «als hätte eine Stimme aus den Wolken zum Diktat gebeten», wie es Truman Capote einmal beschrieben hat.

Gewiss, viele Tipps und Anregungen in Milena Mosers anregendem Schreibbuch sind nicht neu. Aber es braucht sie – immer wieder – zur Erinnerung und als Ermutigung, wenn der Schaffensprozess ins Stocken gerät. Man kann nicht alles – und nur in den seltensten Fällen auf Anhieb – richtig machen. Die Tipps bewahren einen nicht vor Fehlern und Missgeschicken, aber sie tragen dazu bei, dass man nicht alles falsch macht und sich selber sabotiert – oder sich wenigstens mit offenen Augen ins ungewisse Abenteuer stürzt. Andere Schreibende haben Ähnliches durchgemacht und trotz persönlichen Krisen und beruflichen Rückschlägen weitergemacht. Daran erinnern auch Doris Dörries Leben, schreiben, atmen: Eine Einladung zum Schreiben (Diogenes 2019) oder Die Geschichten in uns: Vom Schreiben und vom Leben von Benedict Wells (Diogenes 2024). Viele spätere Erfolgsautor:innen berichten von beschwerlichen Anfängen und wiederholtem Scheitern. F. Scott Fitzgerald blickt 1920 in einem autobiografischen Essay auf die vergangenen Jahre zurück, als er Kurzgeschichte um Kurzgeschichte schrieb, aber niemand sie kaufen wollte: «Ich hatte einhundertzweiundzwanzig Absagen als Fries an meine Zimmerwände geheftet.»

Schreibratgeber bieten kein Rezept für garantierten Erfolg. Vielmehr zeigen sie auf, was es bedeutet, sich leidenschaftlich dem literarischen Schreiben zu verschreiben, weil darin ein besonderes Glück liegt. «Berühmt zu werden, war nie ein Thema», hält Milena Moser fest, und Bekanntheit «schützt vor gar nichts».

 Daniel Ammann, 2.3.2025


Milena Moser
Schreiben: Eine Ermutigung.
Zürich: Kein & Aber, 2025. 462 Seiten.

Lesen Sie wohl!

Lesen Sie wohl!

«Lesen Sie wohl!»
Akzente 1 (2025): S. 35.
blog.phzh.ch/akzente/2025/02/26/lesen-sie-wohl/
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Da dies die letzten Medientipps für Akzente sind, gibt es zum Abschied Hinweise auf Bücher mit weiteren Lektüretipps. Die kann man lesen, um herauszufinden, was sich zu lesen lohnt. Die neue ZEIT-Bibliothek der Weltliteratur (Suhrkamp, 2024) legt gleich vor und empfiehlt «100 Bücher, 100 Lebensgefährten». Die Tipps sind nach thematischen Fragen gruppiert, z. B. «Wer begleitet mich durch die Nacht?», «Wer tröstet mich, wenn ich traurig bin?» oder – ein Dauerbrenner – «Wer bin ich?». Viele der Besprechungen stammen übrigens von namhaften Schriftsteller:innen, die man dann ebenfalls auf die Leseliste setzen kann. Für die nächsten Jahre ist also gut vorgesorgt.
Hilfreich bei der Lektürewahl sind mitunter sogar schonungslose Verrisse. In seiner Bestsellerbibel (Piper, 2024) präsentiert der Literaturkritiker Denis Scheck deshalb «Schätze und Schund aus 20 Jahren». Da dürfen «Die Zehn Gebote des Lesens» nicht fehlen, und in 21 pointierten Essays erfährt man, warum die meistverkauften Bücher nicht die besten sind und wozu Literatur überhaupt taugt, ob Bücher Leben retten oder uns zu besseren Menschen machen.
Autorinnen und Autoren produzieren aber nicht nur reichhaltigen Lesestoff. Wie der von Mara Delius und Marc Reichwein heraus­gege­bene Band 111 Action­szenen der Weltliteratur (Aufbau, 2024) auf unterhaltsame Weise demonstriert, liefern auch ihre Lebens­geschichten dramatische Episoden und heitere Anekdoten, die es zu erzählen lohnt.
– Daniel Ammann




Literaturangaben

Zeitverlag Gerd Bucerius, Hrsg.
Die neue ZEIT-Bibliothek der Weltliteratur.
«100 Bücher, 100 Lebensgefährten»
Berlin: Suhrkamp, 2024. 462 Seiten.

Denis Scheck
Schecks Bestsellerbibel zurück.
Schätze und Schund aus 20 Jahren.
München: Piper, 2024. 432 Seiten.

Mara Delius und Marc Reichwein, Hrsg.
111 Actionszenen der Weltliteratur.
Mit 11 Illustrationen von Paul Fretter.
Berlin: Aufbau Verlag, 2024. 384 Seiten.

Drei Wochen Davos – oder länger

Drei Wochen Davos – oder länger

Nach einem auktorialen «Vorsatz», mit dem auch Hans W. Geissendörfers Filmadaption aus dem Jahr 1981 einsteigt, lässt das erste Kapitel mit dem Titel «Ankunft» den Helden des Zauberbergs von Hamburg nach Süden, über den Bodensee und von Rorschach mit der Bahn via Landquart nach Davos reisen. Dort will Hans Castorp – «dies der Name des jungen Mannes» – für drei Wochen seinen lungenkranken Vetter im Sanatorium Berghof besuchen.

Der erste Absatz aus Thomas Manns Roman «Der Zauberberg» (1924)

Die Ironie des zweiten Satzes erschliesst sich den Leser:innen erst im Laufe der tausend Seiten langen Erzählung. Thomas Mann war seinerzeit ebenfalls für drei Wochen auf Besuch nach Davos gefahren und fand hier den Stoff für seinen grossen Zeit-Roman (wovon auch Colm Tóibín in seinem biografischen Roman über Thomas Mann berichtet). 

Er machte sich an die Planung seines Romans Der Zauberberg. Der Protagonist würde fünfzehn Jahre jünger als er sein, aus Hamburg stammen und einen wissenschaftlichen Verstand und die Unschuld des Wissenschaftlers besitzen. Nach Davos würde er lediglich reisen, um seinen Vetter zu besuchen, der dort in Behandlung wäre, und wie Thomas würde er bemerken, dass die Zeit ihre Bedeutung verlor, sobald er sich in die Disziplin des Hauses einordnete. Diese neue Lebensweise würde ihn zunächst verwirren, doch schliesslich würde er sich an sie gewöhnen. 

Aus: Colm Tóibín, Der Zauberer. Aus dem Englischen von Giovanni Bandini. München: dtv, 2023. (S. 147)

Aber anders als sein Protagonist schaffte Thomas Mann nach drei Wochen den Absprung. Hans Castorp hingegen bleibt sieben Jahre im Sanatorium – bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. 


Literaturangaben

Thomas Mann
Der Zauberberg.
In der Textfassung der Grossen kommentierten Frankfurter Ausgabe. Mit Daten zu Leben und Werk. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2012. 1120 Seiten.


Der Zauberberg
BRD/Frankreich/Italien 1981.
Regie u. Buch: Hans W. Geissendörfer.
Mit Christoph Eichhorn (Hans Castorp), Marie-France Pisier (Clawdia Chauchat), Flavio Bucci (Ludovico Settembrini), Hans Christian Blech (Hofrat Behrens), Alexander Radszun (Joachim Ziemßen), Rod Steiger (Mynheer Peeperkorn), Charles Aznavour (Naphta) u.a.


Gabriele Seitz, Hrsg. 
Der Zauberberg: Ein Film von Hans W. Geissendörfer nach dem Roman von Thomas Mann.
Frankfurt/M.: Fischer, 1982. 216 Seiten.


Norman Ohler
Der Zauberberg, die ganze Geschichte.
Zürich: Diogenes, 2024. 272 Seiten.


Colm Tóibín
Der Zauberer.
Aus dem Englischen von Giovanni Bandini.
München: Hanser, 2021. / München: dtv, 2023. 560 Seiten.

Der Auftakt gibt den Takt vor

Der Auftakt gibt den Takt vor

Als Saša Stanišić liest am 31. August 2024 im Literaturhaus St. Gallen liest, ist es so heiss wie in den Weinbergen im ersten Satz seines Buches und die Performance im vollbesetzten Raum für Literatur so mitreis1send wie zu Zeiten von Charles Dickens, der dieses Format vermutlich erfunden und auf der Bühne bis zur Erschöpfung alles gegeben hat.

Saša Stanišić im Literaturhaus St. Gallen (Foto: Daniel Ammann)

Wenn ich, auf Einladung von Anya Schutzbach schon die Gelegenheit bekomme, dem Autor im Gesprächsblock auf der Bühne ein paar Fragen zu stellen, dann muss ich ihn selbstverständlich auf sein Verhältnis zu ersten Sätzen ansprechen. Ich bin mir ja sicher, dass er diese – wie auch die letzten – nicht dem Zufall überlässt. «Der ers­te Satz muss eine Poetologie des Buches enthalten», zitiert ihn Eva Bachmann im St. Galler Tagblatt (3.9.2024, S. 18).

Der erste Satz – doppelt so lang wie der barocke Titel des Erzählbands – hat es in sich. Die Steine prasseln zwar herunter, aber die Zeit bleibt für die Länge eines famosen Gedankenspiels stehen. 200 Seiten später taucht er erneut auf und schliesst am Ende des Kapitels «Der Hochsitz» eine Klammer. Aber damit ist er noch nicht ausgereizt, denn als Variante eröffnet er auch das letzte Kapitel, das die gleiche Überschrift wie das erste trägt und den Lesenden nebst einem Perspektivenwechsel ein vergnügliches Déjà-vu beschert.

An einem heissen Weinbergnachmittag 1994 warf ich einen Stein in die Luft, und Piero und Nico versuchten, meinen Stein mit ihren Steinen zu treffen, und ich sagte: «Wartet mal kurz, ich hab grad voll das Déjà-vu», und die Steine prasselten zu Boden.

Kurz vor der Lesung schiesst mir ein Satz in den Kopf, der für mich die bravouröse Mechanik  dieses Erzählexperiments voller Volten und Varianten am besten einfängt:

Das Leben ist die Antwort auf eine Frage, die wir uns gar nicht gestellt haben.

Und hätten wir tatsächlich die Möglichkeit, in einem Anproberaum einen Blick auf künftige Momente eines sich fortwährend verzweigenden Lebens zu werfen, könnte wir uns mit einer einzigen Frage wohl kaum zufrieden geben.


SRF-Bestenliste Juli 2024.
  1. Dickens ging mit seinen Lesungen erfolgreich auf Tournee. Eine Kostprobe eines solchen Auftritts zeigt der biografische Spielfilm The Invisible Woman (GB 2013. Regie und Hauptrolle: Ralph Fiennes).
    ↩︎

Digitale Schieflage

Digitale Schieflage

« Digitale Schieflage.»
 Akzente 3 (2024): S. 34.
blog.phzh.ch/akzente/2024/08/23/digitale-schieflage
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Barrierefreie Demokratie oder Informationsapokalypse? In ihren scharfsinnigen Essays zur Digitalmoderne räumt Eva Menasse mit der Vorstellung auf, Medien seien bloss Werkzeuge und somit für die von Menschen angerichteten Verheerungen nicht verantwortlich. Soziale Medien und manipulative Programme hätten in ihrer Wirkung indes mehr mit bewusstseinsverändernden Drogen als mit harmlosen Werkzeugen gemein.
Dass wir mit einfachen Zuschreibungen nicht weit kommen und vielleicht nicht viel dazugelernt haben, zeigt die Autorin unter anderem in ihrer Analyse der deutschen Antisemitismus­-Debatte. Digitale Massenkommunikation scheint alles zu erfassen und hat innerhalb weniger Jahre menschliches Leben und Verhalten von Grund auf verändert. Dennoch: Die analoge Welt gibt es noch, wie sie mehrfach betont: «Dort stinken die Mülltonnen und müssen die Nabelschnüre Neugeborener händisch von Erwachsenen durchschnitten werden.»
– Daniel Ammann

Digitale Schieflage

Eva Menasse
Alles und nichts sagen: Vom Zustand der Debatte in der Digitalmoderne.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2023. 192 Seiten.

Faszination des Schreibens

Faszination des Schreibens

Akzente 3 (2024).
 blog.phzh.ch/akzente/2024/08/23/faszination-des-schreibens
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Benedict Wells wollte sich eine Auszeit vom Schreiben nehmen und stolperte in ein neues Buch über das Schreiben. Im Grundton und Aufbau folgt er darin Stephen Kings On Writing: A Memoir of the Craft (2000; dt. Das Leben und das Schreiben), einem unbestrittenen Klassiker des Genres. Auch Wells beginnt mit Autobiografischem. Er blickt zurück auf seine Kindheit und Jugend, erzählt von schwierigen Anfängen und berichtet zwischen schonungsloser Selbstkritik und Ironie, wie er zum Schreiben fand und erst nach zahlreichen Rückschlägen damit Erfolg hatte. «Ich habe Geschichten erfunden», gesteht er im Vorwort, «weil ich meine eigene lange nicht erzählen konnte.»

Teil zwei widmet sich dann in einer Mischung aus Poetikvorlesung und Schreibratgeber den Verfahren und Fallstricken des literarischen Schreibens. Es sind persönliche Schlaglichter, die zwar nicht durchwegs neue Tipps und Einsichten vermitteln, aber in der Verbindung einschlägiger Quellen mit eigenen Schreiberfahrungen und anhand konkreter Textbeispiele aufzeigen, dass es nicht nur den einen richtigen Weg gibt. Scheitern und Durchhaltewillen gehören unweigerlich dazu. Denn – Talent hin oder her – Schreiben bedeutet harte Arbeit. Selbst wenn man von Mal zu Mal dazulernt, die Abläufe kennt und routinierter vorgeht, bedeutet ein neues Buch, dass man wieder ganz von vorne beginnt und vor Fehlern nicht gefeit ist.

Benedict Wells möchte «an der Vorstellung von Autor:innen als Genies im stillen Kämmerchen rütteln» und zeigt die handwerklichen Aspekte und zähen Phasen des Schreibens auf. Vom anfänglichen Funken bis zum fertigen Manuskript und dem veröffentlichten Buch ist es ein weiter Weg, ganz nach dem Motto: «Man kann beim Schreiben alles überarbeiten – ausser weisse Seiten.»

Daniel Ammann, 23.8.2024


Benedict Wells.
Die Geschichten in uns: Vom Schreiben und vom Leben.
Zürich: Diogenes, 2024. 400 Seiten.

Magoria by Daniel Ammann