Momente der Wahrheit: Schreiben und Scham in «The Words»

Der Dieb der WorteWie viele aufstrebende Autoren träumt der junge Rory Jansen (Bradley Cooper) im Film The Words von einem Leben als Schriftsteller, von Anerkennung und Erfolg. Als sein erster Roman nach drei Jahren harter Arbeit fertig ist, will sich der Erfolg jedoch nicht einstellen. Rory bleibt auf die Unterstützung seines Vaters angewiesen und nimmt schliesslich einen einfachen Job in einem Verlagshaus an. Für seinen Roman bekommt er lauter Absagebriefe. Der Traum von der großen Schriftstellerkarriere droht also zu platzen.

Dann stösst Rory in einer Ledermappe, die seine Frau Dora (Zoe Saldana) ihm in einem Pariser Antiquariat gekauft hat, auf ein maschinengetipptes Manuskript aus den 1940er Jahren. Die hemingwayeske Geschichte eines Unbekannten macht ihm schlagartig bewusst, dass er vielleicht doch nicht das Zeug zum grossen Schriftsteller hat.

Eines Nachts, als er nicht schlafen kann, beginnt er diesen Text voller Ehrfurcht abzutippen: Er will spüren, wie die Worte durch seine Finger fliessen, durch seinen Geist. Er schreibt jedes Wort ab. Er ändert nicht einen Punkt, kein einziges Komma, er korrigiert nicht einmal die Rechtschreibfehler.

Der Roman erscheint, erhält viel Kritikerlob und einen bedeutenden Literaturpreis. Und natürlich fliegt die Sache irgendwann auf.

Aber wie Ulrich Greiner in seinem Buch über Schamverlust argumentiert: «Nur Erfahrungen der Unzulänglichkeit und des Versagens liefern die Energie zur poetischen Bewältigung.»

Schreiben und SchamDer fiktive Fall Rory Jansen und Vergleiche mit Autoren wie Jonathan Franzen, Stephen King, Karl Ove Knausgård oder Urs Widmer setzen hier an und zeigen: Die Erfahrung von Schuld, Scham und Peinlichkeit bilden eine Voraussetzung für das Erzählen.


Daniel Ammann: «Momente der Wahrheit – Schreiben zwischen Schmerz und Scham. Eine Fallanalyse anhand des Spielfilms The Words
Schreiben und Scham: Wenn ein Affekt zur Sprache kommt. Hrsg. v. Monique Honegger.
Giessen: Psychosozial-Verlag, 2015. S. 105–124.
ISBN-13: 978-3-8379-2470-1

The Words – Der Dieb der Worte. USA 2012. Regie: Brian Klugman u. Lee Sternthal. Zürich: Ascot Elite Home Entertainment, 2013. DVD.

Bogey, Bogus und ihre Freunde

Harvey
Harvey (USA 1950, Regie: Henry Koster)

Seit ein paar Jahren bin ich den imaginären Freunden schon auf der Spur. Nicht den eigenen, sondern denen, die sich in Büchern und Filmen manifestieren und Teil unserer Medienkultur geworden sind. Angefangen beim zwei Meter grossen Hasen Harvey aus dem gleichnamigen Film mit James Stewart, über Fight Club und Chocolat bis zu Jodie Fosters eindrücklichem Drama The Beaver.
Als 2012 Matthew Dicks’ Memoirs of an Imaginary Friend erscheint, weiss ich sogleich, dass ich den Titel unbedingt besprechen möchte, sobald er auf Deutsch herauskommt. Es dauert jedoch ein Weilchen, bis ich den deutschen Verlag ausfindig mache. Letztlich muss mir der Autor selbst auf die Sprünge helfen. 2013 erscheint die deutsche Übersetzung unter dem Titel Der beste Freund, den man sich denken kann und praktisch zeitgleich meine Rezension. Ich arbeite mich weiter durch Fachliteratur, unzählige Spielfilme und Romane. Die Früchte dieser Recherche liegen nun als Artikel vor: «Panoptikum der Phantasiegefährten: Imaginäre Freunde in Literatur und Film» (NZZ 26./27.9.2015, S. 51–52).

Erinnerung an ein Kunststück

Nebelspalter Februar 1985Fast hätte ich mein publizistisches Jubiläum vergessen. Vor dreissig Jahren (wenn man von einem Leserbrief absieht) hatte ich meine erste kleine Veröffentlichung.
Angefangen hat alles mit einem Kunststück. Ich hatte dem Nebelspalter ein mittelmässiges Samichlausgedicht zugeschickt … und dann aus einer Laune heraus noch einen satirischen Prosatext mit dem Titel «Ein Kunststück» beigefügt. – Mit den holprigen Versen wusste der Redaktor nichts anzufangen, solcherlei erhalte er ständig, schrieb er zurück. Aber den anderen Text würde er gerne bringen. Im Februar 1985 war es dann soweit. Wie andere Autoren vor mir schlich ich um den Bahnhofskiosk, um zu schauen, ob die neue Ausgabe schon aufliege.

Seither ist einiges an kürzeren und längeren Erzählungen, Kritiken, Artikeln und wissenschaftlichen Beiträgen von mir abgedruckt worden. Das freut mich noch immer jedes Mal – auch weil die Arbeit (oft sehr viel Arbeit) dann wirklich abgeschlossen ist. So schön wie damals ist es natürlich nicht mehr. Aber vielleicht verklärt man das wie den ersten Kuss, den ersten Blick aufs Meer und vieles mehr.

Magoria by Daniel Ammann