Auf ein Wort: Was ist falsch am falschen Hund?

Auf ein Wort: Was ist falsch am falschen Hund?

Übersetzungen sind ein Glück – aber immer auch Glückssache. Es ist eine Freude, dass es sie gibt, und ebenso, dass immer wieder neue entstehen. Die vielen Neuübersetzungen bringen allerdings ein Problem mit sich, wenn die aktuelle Übertragung um jeden Preis vom bisherigen abweichen will. Man denke an den Kleinen Prinzen und den Satz: «Man begreift gar nichts, wenn das Herz nicht dabei ist.» Enzensberger (dtv 2015) hat es sicher gut gemeint, aber an der Formulierung «Man sieht nur mit dem Herzen gut» ist nichts auszusetzen, erst recht, wenn man berücksichtigt, dass es sich schon um ein geflügeltes Wort handelt.

Ich will nicht auf Details herumreiten, aber zwei Beispiele bringen, die mir letzthin aufgefallen (und leicht missfallen) sind.

Anlässlich meiner Jane-Austen-Streifzüge bin ich in der neusten Übersetzung von Andrea Ott (Vernunft und Gefühl. Manesse 2017) über die Formulierung «falscher Fuffziger» gestolpert. Sir John Middleton macht seinem Ärger über den niederträchtigen Willoughby Luft und nennt ihn scoundrel und deceitful dog. Der scoundrel wird in der Regel mit «Schurke» oder «Schuft» wiedergegeben, aus dem deceitful dog wird im Deutschen ein «falscher» oder «hinterlistiger Hund». Andrea Ott macht daraus einen «falschen Fuffziger». Die metaphorische Wendung mit berlinerischem Einschlag bezeichnet zwar ebenfalls einen unaufrichtigen Menschen, nur will das Bild nicht so recht in die englische Szenerie und den Mund des Landadels passen.

Auch wenn eine Neuübersetzung von Hemingways A Moveable Feast (Paris, ein Fest fürs Leben. Rowohlt 2011) zu begrüssen ist und Werner Schmitz (wie uns Thomas Hermann in der NZZ vom 2. Juli 2011 versichert) gute Arbeit geleistet hat, will mir eine Passage in der Übertragung von Annemarie Horschitz-Horst doch besser gefallen. Anlass für einen Vergleich war ein Besuch in Schruns, wo die besagte Textstelle im Biergarten des Hotels Taube auf eine grosse Metallplatte vor dem Schanktisch eingraviert ist.

[…] WIR LIEBTEN VORARLBERG, UND WIR LIEBTEN SCHRUNS […]
ALS ES DEM FRÜHLING ZUGING, GAB ES DIE GROSSE GLETSCHERABFAHRT, GLATT UND GERADE, ENDLOS GERADE, WENN UNSERE BEINE ES DURCHHALTEN KONNTEN; DIE KNÖCHEL ANEINANDERGEDRÜCKT, LIEFEN WIR GANZ TIEFGEDUCKT, ÜBERLIESSEN UNS DER GESCHWINDIGKEIT UND GLITTEN ENDLOS, ENDLOS IM STILLEN ZISCHEN DES KÖRNIGEN PULVERSCHNEES. ES WAR SCHÖNER ALS JEDES FLIEGEN ODER SONST IRGEND ETWAS. […]

Darunter steht als Quelle: Ernest Hemingway, Paris – ein Fest fürs Leben, deutsche Fassung 1965.

In der Übertragung durch Werner Schmitz würde der Text wie folgt lauten:

«Vorarlberg und Schruns gefielen uns sehr. […]
Schließlich die große Abfahrt den Gletscher hinunter, glatt und geradeaus, ewig geradeaus, wenn die Beine das aushielten, die Knöchel eng aneinander, tief gebückt in die Geschwindigkeit gelehnt, fielen und fielen wir im stillen Zischen des frischen Pulverschnees. Das war besser als Fliegen und alles andere […]»

Und zum Vergleich noch im Originalton:

«We loved the Vorarlberg and we loved Schruns. […]
Finally towards spring there was the great glacier run, smooth and straight, forever straight if our legs could hold it, our ankles locked, we running so low, leaning into the speed, dropping forever and forever in the silent hiss of the crisp powder. It was better than any flying or anything else […].»

 

Jane Austen für Kopf und Herz

Ich nehme den 200. Todestag der britischen Autorin Jane Austen zum Anlass, ihren ersten Roman Sense and Sensibility (1811) in der Neuübersetzung von Andrea Ott (Manesse) zu lesen. Für einen Vergleich mit bisherigen Übertragungen bietet sich schon der erste Satz an: «The family of Dashwood had been long settled in Sussex.»

Ins Rennen steigen Ruth Schirmer (ebenfalls Manesse/btb), Erika Gröger (Diogenes), Angelika Beck (Insel), Ursula und Christian Grawe (Reclam), Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié (S. Fischer) sowie Helga Schulz (dtv).

Die sieben deutschen Übersetzungen bringen es erstaunlicherweise auf sieben unterschiedliche Varianten.

Vier Mal ist von der «Familie Dashwood» die Rede. In den übrigen Fällen heisst es einfach «Die Dashwoods». Etwas aus der Reihe tanzt die Diogenes-Übersetzung von Erika Gröger: «Die Dashwoods waren eine alteingesessene Familie in Sussex.» Es ist die einzige Übertragung, die für «had long been settled» nicht auf das Wort «ansässig» zurückgreift. In den übrigen Fällen wird die Dauer in kleinen Variationen wiedergegeben: «schon lange», «schon seit langem», «seit langem», «seit langer Zeit schon» und «lange … gewesen».

Übrigens: Der alliterative Titel Sense and Sensibility bleibt am ehesten noch in den Titeln zweier Verfilmungen erhalten: Sinn und Sinnlichkeit. Die deutschen Buchtitel warten wiederum mit Variation auf: Verstand und Gefühl – Vernunft und Gefühl – Gefühl und Vernunft – Gefühl und Verstand.

Es war auch nicht zu erwarten, dass man einen Roman Kognition und Emotion betitelt.
Oder schlicht: Kopf und Herz.


Jane Austen. Vernunft und Gefühl. Aus dem Englischen von Andrea Ott. Nachwort von Denis Scheck. Zürich: Manesse, 2017.

Siehe auch den Medientipp «Austen für alle» in Akzente 4 (2017): S. 35 und den Essay «Wie lispelt man auf Deutsch?» in der NZZ vom 7.12.2019, S. 47.

Millions and milliards …

You’ll never guess, I’ll bet you millions, milliards—
It all sprung from a harmless game at billiards.
Lord Byron, Don Juan (Canto XIV)

In seinem Buch über den Marshmallow-Test (München: Siedler, 2015) schreibt Walter Mischel: «Im menschlichen Körper enthält jede der rund eine Billion Zellen in ihrem Kern eine vollständige, identische DNA-Sequenz.»

milliardeImmer wenn in einem Nachrichtenbeitrag oder in einem Sachbuch von Billionen die Rede ist, werde ich unsicher. Belaufen sich die Kosten tatsächlich auf eine Billion Dollar oder haben wieder einmal die falschen Freunde bei der Übersetzung mitgemischt? A billion dollars sind nämlich 109, also tausend Millionen Dollar. Auf Deutsch also eine Milliarde. So wird die englische trillion dann zur deutschen Billion (1012), während die deutsche Trillion eine Million Billionen (1018) umfasst. Und dazwischen haben wir (mit tausend Billionen) dann noch die Billiarde.

Das wäre alles nicht so schlimm und könnte durch Prüfung der Quellen und sorgfältige Übersetzung aufgefangen werden. Aber unter billion hält das Oxford English Dictionary auch Folgendes fest: «orig. and still commonly in Great Britain: A million millions.» Und zu trillion heisst es: «In U.S., and increasingly in Britain: A thousand millions.»

Um ganz sicher zu gehen, werfen wir also besser einen Blick in die Originalausgabe von Walter Mischels The Marshmallow Test: «In the human body, each of approximately a trillion cells holds within its nucleus a complete and identical sequence of DNA.» Glück gehabt. Dem Übersetzer sei Dank!

Der letzte Satz: «Mann im Dunkel» von Paul Auster

«Yes, Dad, she says, studying her daughter with a worried
look in her eyes, the weird world rolls on.»
«Ja, Dad, sagt sie und betrachtet ihre Tochter aus  sorgenvollen
Augen, die wunderliche Welt dreht sich weiter.»
Paul Auster, Man in the Dark / Mann im Dunkel

Paul Auster: Mann im DunkelNach einem Autounfall bleibt der 72-jährige Ich-Erzähler August Brill an den Rollstuhl gefesselt. Nachts liegt er wach und verdrängt schmerzhafte Erinnerungen, indem er sich eine Geschichte ausdenkt. «Nichts Besonderes», meint er, «aber solange ich mich damit beschäftige, muss ich schon nicht an die Dinge denken, die ich lieber vergessen möchte.» Man schreibt das Jahr 2007. Die Anschläge vom 11. September haben niemals stattgefunden, und statt im Irak wütet ein erbitterter Krieg im eigenen Land.

Paul Auster lässt seinen hintergründigen Roman über menschliches Schicksal, Parallelwelten und die unbändige Kraft des Erzählens mit einem Satz von Rose Hawthorne enden. Sie war das jüngste von Nathaniel Hawthornes drei Kindern und Brills Tochter Miriam schreibt eine Biografie über sie. «Rose Hawthorne war keine besonders gute Dichterin, oder?», fragt Brill. «Nein», antwortet Miriam. «Ehrlich gesagt, war sie furchtbar schlecht.» Aber ein Satz aus ihrem Gedichtband Along the Shore hat es beiden angetan: «The weird world rolls on.»

Bei Rose Hawthorne lautet die Stelle: «As the weird earth rolls on». Ist es Zufall oder Absicht, dass Auster diese eine Zeile mit einem Stabreim aufwertet? In der deutschen Übersetzung von Werner Schmitz wird daraus sogar eine dreifache Alliteration: Die wunderliche Welt dreht sich weiter. Sieben Mal kommt der Satz in Mann im Dunkel vor und hallt am Ende als Schlussakkord nach – «lakonisch, im Grunde abgedroschen und trotzdem zutiefst weise», meinte Jürgen Brôcan in seiner NZZ-Rezension (2.12.2008, 43). Die genaue Quelle wird im Roman nicht erwähnt, aber passenderweise stammt die Zeile aus einem Gedicht mit dem Titel «Closing Chords».


Auster, Paul. Man in the Dark. London: Faber and Faber, 2009. 180 Seiten.
Auster, Paul. Mann im Dunkel. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2008. 220 Seiten.

Die Freunde von Klempnern

In Kurt Vonneguts Roman Slaughterhouse-Five (1969) wird die Hauptfigur Billy Pilgrim auf den Planeten Tralfamadore entführt. Die liebenswürdigen Ausserirdischen sind «two feet high, and green, and shaped like plumber’s friends». In der deutschen Übersetzung von Kurt Wagenseil aus dem Jahr 1972 und in der Neuausgabe von 2010 heisst es an dieser Stelle, dass die Tralfamadorianer «sechzig Zentimeter gross und grün – und wie ‹die Freunde von Klempnern› gestaltet waren».
Ich bin den «Freunden von Klempnern» erst bei der Übersetzungarbeit an David Lodges The Art of Fiction begegnet. In einer kurzen Passage über Vonneguts Roman und die Zeitreise seines Protagonisten werden die Tralfamadorianer dort als «little creatures who look like plumber’s friends with an eye on top» erwähnt. Nachdem ich die «plumber’s friends» an einer Stelle in Slaughterhouse-Five und anschliessend in der deutschen Ausgabe Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug ausfindig gemacht hatte, blieb ich aber unzufrieden. Die – in Anführungszeichen gesetzten – Freunde von Klempnern erschliessen sich den deutschsprachigen Leserinnen und Lesern nicht auf Anhieb. Ist es eine poetische Metapher? Oder eine feste Wendung?
Tatsächlich ist plumber’s friend oder plumber’s helper laut Wörterbuch eine informelle Bezeichnung für jenes Haushaltsgerät, das im Deutschen unter anderem Pümpel genannt wird: eine Saugglocke zur Abflussreinigung. Das passt zur weiteren Beschreibung bei Vonnegut: «Their suction cups were on the ground, and their shafts, which were extremely flexible, usually pointed to the sky. At the top of each shaft was a little hand with a green eye in its palm.» (Auf Deutsch: «Ihre Saugnäpfe ruhten auf dem Boden, und ihre Stiele, die äusserst biegsam waren, deuteten gewöhnlich zum Himmel. Oben an jedem Stiel befand sich eine kleine Hand mit einem grünen Auge in der inneren Handfläche.»)
Heute muss man plumber’s friend nur als Suchbegriff im Internet eingeben und schon finden sich neben lexikalischen Definitionen auch die passenden Illustrationen.

Tralfamadorians
P.S. In der Lodge-Übersetzung habe ich mich damals für «Saugstöpsel» entschieden, auch wenn die Leserinnen und Leser seiner Kunst des Erzählens (Haffmans 1993 u. Diana 1998) den Ausdruck in der Vonnegut-Übersetzung bei Rowohlt nicht antreffen würden – und weil ich mir nicht sicher war, ob sich bei der «Saugglocke» das richtige Bild (Gummiglocke samt Holzstiel) einstellt. Heute würde ich wohl den Pümpel bevorzugen und darauf hoffen, dass er es auch in die Neuübersetzung von Vonnegut schafft.

Nachtrag am 12.2.2017

Mein Wunsch wurde erhört. Schlachthof 5 liegt inzwischen in einer neuen Übersetzung von Gregor Hens vor (Hoffmann und Campe, 2016). Die Tralfamadorianer heissen jetzt Tralfamadorier und ihre Beschreibung liest sich nun wie folgt:
«Sie seien gut sechzig Zentimeter groß und grün, hieß es in dem Brief, und ihre Form gleiche einem Pömpel. Sie stünden auf Saugnäpfen, und ihre Stiele, die äußerst biegsam seien, zeigten meistens in den Himmel. Am oberen Ende jedes Stiels befinde sich eine kleine Hand, in der Handfläche sei ein grünes Auge.»

Übersetzen schärft die Sinne

Wir hoffen immer auf die beste und ultimative Übersetzung. Aber die gibt es nicht. Oder allenfalls nur für den Moment. Deshalb brauchen gute Bücher mehrere oder sogar ganz viele Übersetzungen. Der galoppierende Flaubert war nur ein Beispiel.

David Lodge: Die Kunst des Erzählens (Zürich: Haffmans, 1993)Als ich 1993 an der Übersetzung von David Lodges The Art of Fiction arbeitete, war das Internet noch keine Hilfe. Lodge beginnt jedes thematische Kapitel mit einem oder mehreren Zitaten aus der englischen oder amerikanischen Literatur. Da die meisten dieser Texte in deutscher Übersetzung vorlagen, habe ich in Bibliotheken und Buchandlungen herumgestöbert und versucht, die entsprechenden Textpassagen ausfindig zu machen. Sie sollten den Ton wiedergeben, den Leserinnen und Leser in den deutschen Ausgaben antreffen. Die Aufgabe war nicht ganz einfach, weil nur Autor und Titel, aber nicht das betreffende Kapitel oder gar eine Seitenzahl angegeben war. So habe ich zuerst im Original nach der zitierten Textstelle gesucht und mir nachher eine deutsche Übersetzung besorgt. Nebenbei bemerkt: Mit dem bescheidenen Seitenhororar des Übersetzers wird dieser Rechercheaufwand kaum gebührend entschädigt. Die detektivische Spurensuche war dafür anregend und bot eine gesunde Abwechslung zur Schreibtischarbeit.
Der Haken war allerdings, dass die mühsam aufgetriebenen Passagen dann oft doch nicht passten. So fehlen zum Beispiel in der Salinger-Übersetzung von Heinrich Böll ausgerechnet jene Charakteristiken, auf die Lodge in seinem Kapitel über Teenagersprache eingeht. Ich hatte also zwei Möglichkeiten: Entweder ich übersetzte den Text nun doch selber oder versuchte die bestehende Version dahingehend zu frisieren, dass sie dem Kommentar gerecht wurde.
Heute wäre die Arbeit etwas einfacher. Zum einen können viele der Übersetzungen im Netz recherchiert, konsultiert und verglichen werden, zum anderen erlauben digitale Versionen eine Volltextsuche. Und zu guter Letzt: Einige der von Lodge angeführten Texte liegen inzwischen in frischen Übertragungen vor. Zum Glück auch Salinger.

Übersetzen schärft die Sinne: In weiteren Beiträgen dieser Kategorie möchte ich an ausgewählten (und nicht nur eigenen) Beispielen zeigen, was die Schönheiten und Schwierigkeiten der Übersetzungsarbeit ausmacht.

Magoria by Daniel Ammann