Woher nehmen Schriftsteller:innen eigentlich ihre Einfälle? Die Antwort erstaunt – und ist zugleich fast banal: Das Neue geht aus dem Alten hervor, indem wir Vertrautes variieren, umkrempeln oder auf ungewohnte Weise mit anderem kombinieren.
«Die beste Idee kommt in der Badewanne.» Neue Zürcher Zeitung 6.2.2021, S. 37. nzz.ch/feuilleton/
Der Fall ist klar. Ein junger Autor gelangt in den Besitz eines 65 Jahre alten Romanmanuskripts, tippt es Wort für Wort ab und veröffentlicht den Text unter seinem eigenen Namen. Über die Schuldfrage bestehen keine Zweifel. – Über authentisches Schreiben zwischen Scham, Schmerz und Schuld.
«Momente der Wahrheit – Schreiben zwischen Schmerz und Scham. Eine Fallanalyse anhand des Spielfilms The Words.» Schreiben und Scham: Wenn ein Affekt zur Sprache kommt. Hrsg. v. Monique Honegger. Giessen: Psychosozial-Verlag, 2015. S. 105–124. ISBN 13: 978-3-8379-2470-1
Ein junger Mann entdeckt ein Manuskript, das von einer tragischen Liebesgeschichte erzählt. Wort für Wort tippt er den Text in den Computer, und um seine Liebste in ihrer Begeisterung nicht zu enttäuschen, lässt er sie und die Welt im Glauben, es handle sich um sein Werk. Der Held wird zum literarischen Shootingstar. Doch dann meldet sich ein alter Mann, der sich als der wahre Autor zu erkennen gibt …
Spielfilme über Schriftsteller und das Schreiben gibt es zu Hauf. Aber meistens wird in diesen Filmen wenig bis gar nicht geschrieben.In kurzen Sequenzen hämmern Autorinnen und Autoren auf die Tasten der Schreibmaschine oder kritzeln in einem Schreibanfall Papiere voll. Über die langwierigen und wechselhaften Schreibprozesse und darüber, wie ein guter Text entsteht, ist aus solchen Annäherungen in der Regel wenig zu erfahren. Eine Ausnahme bilden jene Biopics, die einen Schriftsteller oder eine Schriftstellerin ins Zentrum rücken und deren Suche nach einer eigenständigen Stimme und den Kampf um literarische Anerkennung näher beleuchten. Genius von Michael Grandage ist so ein Beispiel, auch wenn der Film dann eher für ein Publikum von Interesse ist, das sich für den eigenwilligen Schriftsteller Thomas Wolfe (Jude Law), dessen Lektor Max Perkins (Colin Firth) oder für die US-amerikanische Literaturgeschichte der ausgehenden 1920er-Jahre interessiert.
Max Perkins (1884–1947) hat beim New Yorker Verlagshaus Charles Scribner’s Sons belletristische Grosskaliber wie Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald aufgebaut und seinen Autoren auch bei Gegenwind die Treue gehalten. Auf der Grundlage von A. Scott Bergs Biografie Max Perkins: Editor of Genius zeichnet der Film Stationen des Ausnahmetalents Thomas Wolfe auf dem Weg zum Erfolg und bis zu seinem frühen Tod 1938 nach. Im Zentrum steht dabei die enge Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen dem impulsiven Autor und seinem legendären Lektor. Genius erzählt, wie Perkins den jungen Wolfe 1929 unter seine Fittiche nimmt und dessen spätere Erfolge Look Homeward, Angel (1929; dt. Schau heimwärts, Engel) und Of Time and the River (1935; dt. Von Zeit und Fluss) herausbringt. Doch vorerst müssen die überbordenden Manukripte massiv gekürzt und in marktfähige Bücher verwandelt werden. Keine leichte Aufgabe, selbst für den erfahrenen Verlagsmann, denn Wolfe hängt an seinen Formulierungen und ist immer wieder versucht, seinem umfangreichen Text noch weitere Absätze hinzuzufügen. Perkins muss den empfindsamen Autor schonend, aber bestimmt davon überzeugen, dass Umstellungen und Kürzungen notwendig sind, um aus dem Konvolut loser Blätter einen Roman zu destillieren. «Meine Aufgabe», betont er, «meine einzige Aufgabe ist es, dem Leser gute Bücher in die Hand zu geben.» Da müssen unter Umständen schon mal 300 Seiten geopfert werden, denn: «Wichtig ist nicht die Seitenzahl, sondern wie die Geschichte erzählt wird.»