Den Zitaten auf der Spur

Den Zitaten auf der Spur

Ich bin ein grosser Fan und obsessiver Sammler von Zitaten. Aber sie treiben mich gelegentlich auch in den Wahnsinn. Vor allem wenn sie als «heimtückische Memes» durchs Internet geistern und keinen Hinweis darauf liefern, welchem Werk sie entnommen sind. Ganz zu schweigen davon, dass sogar die Angabe der Autor:innen sehr oft irreführend oder schlichtweg falsch ist.

Und sie fährt fort: «Es ist etwas Monotones an den häuslichen Pflichten, und diese Eintönigkeit gibt den körperlichen Fähigkeiten des Menschen genügend Arbeit, während sie die geistigen freisetzt, sodass sie sich aufschwingen können in die Höhen der Phantasie, um neue Gedanken zu fassen und zu formen.»1

Ich möchte dem Quote Investigator keine (oder nur ein bisschen) Konkurrenz machen. Denn hin und wieder bereitet mir das ungenaue und quellenlose Zitieren schon Kopfzerbrechen. Vielleicht hat mich da die wissenschaftliche Arbeit verdorben. Aber etwas nervig ist es schon, wenn ein Bonmot aus einem Shakespeare-Stück oder einem Roman von Jane Austen zitiert wird und als Quelle lediglich der Name des Autors oder der Autorin vermerkt wird. Auch wenn die Werke aus ihrer Feder stammen, sind sie mit ihren Charakteren nicht unbedingt einer Meinung. Wie schon Antonio in Shakespeares The Merchant of Venice bemerkt:  «The devil can cite Scripture for his purpose.» – Wenn es sich um die deutsche Übersetzung handelt, sollte man auch erwähnen, wem wir diese verdanken. Bei August Wilhelm Schlegel zum Beispiel heisst es: «Der Teufel kann sich auf die Schrift berufen.»

Bei genauerer Prüfung kann sich unter Umständen sogar herausstellen, dass das Zitat im Werk der genannten Autorin gar nicht vorkommt.

«When I fall in love, it will be forever.» – Das könnte Jane Austen vielleicht in einem Biopic sagen. Als Quelle wird gelegentlich Sense and Sensibility (1811) angeführt. Dort erwähnt Edward Ferrars im Gespräch mit den Dashwoods zwar Mariannes «Lebensmaxime: dass man sich nur einmal im Leben verlieben kann» (2017, 95; in der Übersetzung von Andrea Ott). Im exakten Wortlaut kommt das angebliche Austen-Zitat aber tatsächlich nur in der BBC-Adaption des Romans nach dem Drehbuch von Andrew Davies vor (GB 2008).

  1. Im Original: «During domestic chores I could relax my mind completely. Robert Graves once said to me that washing up was one of the best aids to creative thought. I think he is quite right. There is a monotony about domestic duties – sufficient activity for the physical side, so that it releases your mental side, allowing it to take off into space and make its own thoughts and inventions. That doesn’t apply to cooking, of course. Cooking demands all your creative abilities and complete attention.» (Christie 2011 [1977], 316–317) ↩︎


Quellen

Austen, Jane. Vernunft und Gefühl. Aus dem Englischen von Andrea Ott. Zürich: Manesse, 2017. 

Christie, Agatha. Agatha Christie: An Autobiography. London: HarperCollins, 2011 (1977).

Christie, Agatha. Die Autobiographie. Aus dem Englischen von Hans Erik Hausner. Hamburg: Atlantik, 2017.

Johnson, Alex. Schreibwelten. Mit Illustrationen von James Oses. Aus dem Englischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer. Darmstadt: wbg Theiss, 2023.

Sense & Sensibility. (Sinn und Sinnlichkeit.) GB 2008. Regie: John Alexander. Buch: Andrew Davies.

Auf ein Wort: Was ist falsch am falschen Hund?

Auf ein Wort: Was ist falsch am falschen Hund?

Übersetzungen sind ein Glück – aber immer auch Glückssache. Es ist eine Freude, dass es sie gibt, und ebenso, dass immer wieder neue entstehen. Die vielen Neuübersetzungen bringen allerdings ein Problem mit sich, wenn die aktuelle Übertragung um jeden Preis vom bisherigen abweichen will. Man denke an den Kleinen Prinzen und den Satz: «Man begreift gar nichts, wenn das Herz nicht dabei ist.» Enzensberger (dtv 2015) hat es sicher gut gemeint, aber an der Formulierung «Man sieht nur mit dem Herzen gut» ist nichts auszusetzen, erst recht, wenn man berücksichtigt, dass es sich schon um ein geflügeltes Wort handelt.

Ich will nicht auf Details herumreiten, aber zwei Beispiele bringen, die mir letzthin aufgefallen (und leicht missfallen) sind.

Anlässlich meiner Jane-Austen-Streifzüge bin ich in der neusten Übersetzung von Andrea Ott (Vernunft und Gefühl. Manesse 2017) über die Formulierung «falscher Fuffziger» gestolpert. Sir John Middleton macht seinem Ärger über den niederträchtigen Willoughby Luft und nennt ihn scoundrel und deceitful dog. Der scoundrel wird in der Regel mit «Schurke» oder «Schuft» wiedergegeben, aus dem deceitful dog wird im Deutschen ein «falscher» oder «hinterlistiger Hund». Andrea Ott macht daraus einen «falschen Fuffziger». Die metaphorische Wendung mit berlinerischem Einschlag bezeichnet zwar ebenfalls einen unaufrichtigen Menschen, nur will das Bild nicht so recht in die englische Szenerie und den Mund des Landadels passen.

Auch wenn eine Neuübersetzung von Hemingways A Moveable Feast (Paris, ein Fest fürs Leben. Rowohlt 2011) zu begrüssen ist und Werner Schmitz (wie uns Thomas Hermann in der NZZ vom 2. Juli 2011 versichert) gute Arbeit geleistet hat, will mir eine Passage in der Übertragung von Annemarie Horschitz-Horst doch besser gefallen. Anlass für einen Vergleich war ein Besuch in Schruns, wo die besagte Textstelle im Biergarten des Hotels Taube auf eine grosse Metallplatte vor dem Schanktisch eingraviert ist.

[…] WIR LIEBTEN VORARLBERG, UND WIR LIEBTEN SCHRUNS […]
ALS ES DEM FRÜHLING ZUGING, GAB ES DIE GROSSE GLETSCHERABFAHRT, GLATT UND GERADE, ENDLOS GERADE, WENN UNSERE BEINE ES DURCHHALTEN KONNTEN; DIE KNÖCHEL ANEINANDERGEDRÜCKT, LIEFEN WIR GANZ TIEFGEDUCKT, ÜBERLIESSEN UNS DER GESCHWINDIGKEIT UND GLITTEN ENDLOS, ENDLOS IM STILLEN ZISCHEN DES KÖRNIGEN PULVERSCHNEES. ES WAR SCHÖNER ALS JEDES FLIEGEN ODER SONST IRGEND ETWAS. […]

Darunter steht als Quelle: Ernest Hemingway, Paris – ein Fest fürs Leben, deutsche Fassung 1965.

In der Übertragung durch Werner Schmitz würde der Text wie folgt lauten:

«Vorarlberg und Schruns gefielen uns sehr. […]
Schließlich die große Abfahrt den Gletscher hinunter, glatt und geradeaus, ewig geradeaus, wenn die Beine das aushielten, die Knöchel eng aneinander, tief gebückt in die Geschwindigkeit gelehnt, fielen und fielen wir im stillen Zischen des frischen Pulverschnees. Das war besser als Fliegen und alles andere […]»

Und zum Vergleich noch im Originalton:

«We loved the Vorarlberg and we loved Schruns. […]
Finally towards spring there was the great glacier run, smooth and straight, forever straight if our legs could hold it, our ankles locked, we running so low, leaning into the speed, dropping forever and forever in the silent hiss of the crisp powder. It was better than any flying or anything else […].»

Daniel Ammann, 11.8.2017 

Biopics: Leben wie im Film

Was bleibt: Biopics

Biopics schreiben Literaturgeschichte auf und zugleich um. Sie loten die Kluft zwischen Vorstellung und Wirklichkeit aus, zwischen dichterischer Selbststilisierung und ernüchternder Realität

«Biografische Spielfilme bewegen sich auf einem Grat, denn Erfindung und Rekonstruktion greifen sichtlich ineinander. Erzählt wird nach wahren Begebenheiten – und hie und da mit bestechender Detailverliebtheit.»


«Leben wie im Film.»
Filmbulletin 8 (Dez. 2018): S. 42–43.
 http://dx.doi.org/10.5169/seals-863052 (E-Periodica ETH Zürich)
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Austen für alle

Austen für alle

Auch 200 Jahre nach ihrem Tod tauchen Menschen gerne in Jane Austens Geschichten ein. Ihre Romane werden erfolgreich für die Leinwand adaptiert, zuweilen parodistisch transponiert wie in der Komödie à la Bollywood Bride & Prejudice (Gurinder Chadha 2004) oder schamlos mit fremden Genre-Elementen aufgemischt wie im Horrorstreifen Stolz und Vorurteil & Zombies (Burr Steers 2015). Nicht zu vergessen die romantischen Biopics Be­coming Jane (Julian Jarrold 2007) und Miss Austen Regrets (Jeremy Lovering 2008), in denen die Autorin Liebesgeschichten wie aus einem ihrer Romane durchlebt. Aber selbst Jane Austens Leserinnen und Leser können zu Protagonisten werden. Der Film The Jane Austen Book Club (Robin ­Swicord 2007) nach der Vorlage von Karen Joy Fowler erzählt von sechs Personen, die sich monatlich treffen, um die Romane der gros­sen Autorin zu diskutieren und etwas für ihr eigenes Leben zu lernen.

In Dan Zeffs TV-Mehrteiler Lost in Austen (KSM 2017) nimmt Immersion noch dramatischere Züge an. Eine passionierte ­Austen­-Verehrerin aus dem 21. Jahrhundert gerät durch ein geheimes Hintertürchen direkt ins Haus der Bennets aus Stolz und Vorurteil und hat bald alle Hände voll zu tun, damit sich Mr. Darcy nicht in sie verliebt und den Plot ihres Lieblingsromans durcheinanderbringt.

Für die eingefleischten Fans zählen vor allem die Originale. Damit deutschsprachige Leserinnen und Leser auch in den Genuss kommen, legt der Manesse Verlag zum Austen-Jubiläum Vernunft und Gefühl in einer gelungen frischen Übertragung von Andrea Ott vor. Jane Austen bleibt also aktuell.

Daniel Ammann, 27.11.2017

«Austen für alle.»
Akzente 4 (2017): S. 35.
blog.phzh.ch/akzente/2017/11/27/austen-fuer-alle/
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Jane Austen
Vernunft und Gefühl.
Aus dem Englischen von Andrea Ott.
Nachwort von Denis Scheck.
Zürich: Manesse, 2017. 416 Seiten.
Buchcover

The Jane Austen Book Club.
USA 2007.  
Regie: Robin Swicord.
München: Sony Pictures Home Entertainment, 2007. DVD.

Lost in Austen
Grossbritannien 2008.
Regie: Dan Zeff.
Wiesbaden: KSM, 2017. DVD.

Schreiben im Film

Schreiben im Film

Schriftsteller und Autorinnen werden oft zu Filmfiguren, seien sie reale oder fiktive Gestalten. Wie sich ihre Tätigkeit jenseits von geführten Federn und gedrückten Schreibmaschinentasten inszenieren lässt, dafür haben Filmemacher die verschiedensten Lösungen gefunden, wie auch Beispiele aus jüngster Zeit zeigen.

«Tinte, Tasten, Typenhebel: Zur Inszenierung des Schreibens im Film.»
Neue Zürcher Zeitung 5.1.2013: S. 55.

Magoria by Daniel Ammann