Erinnerungen an den Lockdown

Erinnerungen an den Lockdown

«Erinnerungen an den Lockdown.»
Akzente 2 (2024): S. 35.
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Krisen spalten die Gesellschaft, bringen Menschen gegeneinander auf, rücken sie aber auch näher zusammen. In dem von Margaret Atwood und Douglas Preston herausgegebenen Romanprojekt Vierzehn Tage (dtv, 2024) begegnen sich die Bewohner:innen eines New Yorker Mietshauses im Lockdown jeden Abend auf dem Dach. Man hält Abstand und will nichts miteinander zu tun haben. Dennoch wächst unter den Isolierten eine launische Verbundenheit. So verschieden diese Menschen sind, so gegensätzlich und doch gleichartig sind die Geschichten, die sie sich (bzw. die 36 Autor:innen) reihum erzählen. 

Von einer vertrauteren Schicksalsgemeinschaft handelt Am Meer von Elizabeth Strout (Luch­ter­hand, 2024). Die Autorin Lucy wird zu Beginn der Pandemie von ihrem Ex-Mann gedrängt, New York zu verlassen und mit ihm in ein Landhaus in Maine zu ziehen. Aus Wochen werden Monate und vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Verwerfungen geraten auch Freundschaften und Familien unter Druck. 

Dem belgischen Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint scheint die Covid-Krise eher entgegenzukommen, wie er gesteht. Die Arbeit an der auobiografischen Erzählung Das Schachbrett (FVA, 2024) hält ihn über Wasser und lässt Erinnerungen an den Vater, die Anfänge der Liebe und des Schreibens mit seiner alten Schachleidenschaft wundersam verschmelzen.
– Daniel Ammann


Literaturangaben

Margaret Atwood und Douglas Preston, Hrsg.
Vierzehn Tage.
Deutsch von Pieke Biermann, Christine Blum, Christiane Burkhardt, Svenja Geithner, Susanne Goga-Klinkenberg, Susanne Höbel, Brigitte Jakobeit, Stephan Kleiner, Claudia Max, Hella Reese u. Mechtild Sandberg-Ciletti.
München: dtv, 2024. 480 Seiten.


Elizabeth Strout
Am Meer.
Deutsch von Sabine Roth.
München: Luchterhand, 2024. 286 Seiten.


Jean-Philippe Toussaint
Das Schachbrett.
Aus dem Französischen von Joachim Unseld.
Frankfurt/M.: Frankfurter Verlagsanstalt, 2024. 256 Seiten.

 

Mehr über Schach:

Schachgeschichten

Fragen über Fragen

Fragen über Fragen

«Fragen über Fragen.»
 Akzente 4 (2023): S. 34.
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Was uns als Menschen auszeichnet und neben empfindsamer Körperlichkeit von leidenschaftsloser KI unterscheidet, ist unser Drang nach Wissen, die unaufhörliche Suche nach Antworten, die in den Enzyklopädien unserer Kultur noch nicht zu finden sind. Für Margaret Atwood sind es die brennenden Fragen, die uns vorantreiben und vorwärtsbringen.

Schreiben und Geschichtenerzählen sind gleichermassen Ausdruck dieser fragenden Grundhaltung. Aus Neugier und Leidenschaft (so der Titel eines früheren Bandes) richtet die kluge und engagierte Autorin seit Jahrzehnten ihren scharfen Blick auf die Wirklichkeit. Auch und vor allem dann, wenn sie uns scheinbar Märchen auftischt. Wie die fiktionalen beflügeln auch ihre essayistischen Gedankenreisen. Sie öffnen eine Luke, offenbaren den doppelten Boden einer fragilen Welt und geben Einblick in ihr Schreiben.
– Daniel Ammann

Margaret Atwood
Brennende Fragen: Essays und Gelegenheitsarbeiten von 2004–2021.
Deutsch von Jan Schönherr, Eva Regul und Martina Tichy.
Berlin: Berlin Verlag, 2023. 704 Seiten.

Lesen und Wiederlesen

Wiederlesen lohnt sich
Wiederlesen lohnt sich

«Auf Wiederlesen.»
Akzente 4 (2022): S. 39.
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Soll man irgendwann aufhören, den zahlreichen Neuerscheinungen hinterherzuhetzen, und sich stattdessen auf das Wiederlesen vertrauter Bücher verlegen? So wie man nicht zwei Mal in den gleichen Fluss steigt, verhält es sich auch mit Lektüren.

Davon erzählt die passionierte Wiederholungsleserin und Autorin Vivian Gornick in Offene Fragen (Penguin, 2022). Wenn sie nach Jahren erneut zum gleichen Buch greift, haben sich die Zeichen auf dem Papier nicht verändert. Vielmehr spiegelt sich im alten Text ein neues Ich und lässt die Leserin in der aktuellen Lebensphase eine andere Geschichte entdecken.

Von intimen und erhellenden Begegnungen mit Texten berichten auch die vierundzwanzig Autorinnen und Autoren in Warum Lesen: Mindestens 24 Gründe (Suhrkamp, 2020; herausgegeben von Katharina Raabe und Frank Wegner). Lesen trennt und verbindet, betont etwa Annie Ernaux. Es koppelt uns vom Alltag ab, lässt fremde Stimmen ins Bewusstsein ein. Gleichzeitig rückt uns Literatur der Welt näher, denn sie gewährt Einblicke ins Leben, Denken und Fühlen von anderen und verschafft vielfältige ästhetische und verdichtete Erfahrungen.

Wiederlesen lohnt sich. Das mag einer der Gründe sein, weshalb die befragten Schriftstellerinnen und Schriftsteller in François Armanets Bücher für die einsame Insel (Atlantik, 2017) lauter Titel nennen, die sie bereits kennen. Salman Rushdie entscheidet sich wenig überraschend für «Tausendundeine Nacht». Und für Margaret Atwood ist es an der Zeit, wieder einmal «Moby Dick» zu lesen, weil dieser Roman für sie alle zehn Jahre einen neuen Sinn erhält.
– Daniel Ammann

Literaturangaben

Vivian Gornick
Offene Fragen: Notizen einer passionierten Wiederholungsleserin.
Aus dem amerikanischen Englisch von Pociao.
München: Penguin, 2022. 173 Seiten.

Warum Lesen: Mindestens 24 Gründe.
Herausgegeben und mit einer Nachbemerkung von Katharina Raabe und Frank Wegner. Berlin: Suhrkamp, 2020. 347 Seiten.

François Armanet
Bücher für die einsame Insel.
Aus dem Französischen, Englischen und Spanischen von Claudia Steinitz und Angela Volknant.
Hamburg: Atlantik, 2017. 215 Seiten.

Grosse Brüder, kleine Brüder …

Grosse Brüder, kleine Brüder …

«Orwells Zukunft ist längst Gegenwart.»
Neue Zürcher Zeitung 8.4.2021, S. 30.
 nzz.ch/feuilleton/

Den Klassiker «1984» gibt es nun auch als Jugendroman und als Graphic Novel. Seine düsteren Szenarien haben aber auch andere Autorinnen und Autoren inspiriert.


George Orwell: 1984. Aus dem Englischen von Karsten Singelmann. rororo rotfuchs. Hamburg: Rowohlt, 2021. 416 Seiten. Ab 14 Jahren.


Jean-Christophe Derrien und Rémi Torregrossa: 1984. Nach George Orwell. Graphic Novel. Aus dem Französischen von Anja Kootz. Knesebeck, München 2021. 128 Seiten.


Philip Kerr: 1984.4. Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn. Mit einem Nachwort von Christiane Steen. rororo rotfuchs. Hamburg: Rowohlt, 2021. 320 Seiten. Ab 14 Jahren.

   
Margaret Atwood: Der Report der Magd. Aus dem Amerikanischen von Helga Pfetsch. München: Piper, 2020. 416 Seiten.


Renée Nault: Der Report der Magd. Nach Margaret Atwood. Graphic Novel. Aus dem Englischen von Ebi Naumann. Berlin: Berlin Verlag, 2019. 240 Seiten.

   
Cory Doctorow: Little Brother. Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2011 (2010). 492 Seiten. Ab 14 Jahren.
Neuausgabe unter dem Titel: Little Brother – Aufstand.
Mit einem Vorwort von Edward Snowden.
München: Heyne, 2021. 448 Seiten.


Cory Doctorow: Little Brother
– Homeland. Aus dem Amerikanischen von Oliver Plaschka. München: Wilhelm Heyne, 2013.
Neuausgabe unter dem Titel: Little Brother – Revolution.
München: Heyne, 2021. 480 Seiten.


Cory Doctorow: Little Brother – Sabotage. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski. München: Heyne, 2022.

Magoria by Daniel Ammann