Autorinnen und Autoren können zu persönlichen Helden werden. Aber in ihren eigenen Romanen kommen sie mitunter ganz schlecht weg. Deshalb «Niemals den Helden begegnen», wie Henry David Thoreau in der Serie «Dickinson» zur Dichterin Emily Dickinson sagt.
Neue Zürcher Zeitung 29.4.2020, S. 28. (Online 27.4.2020 unter dem Titel «Immer muss man damit rechnen, dass da ein Ungeheuer unter dem Bett lauert.» nzz.ch/feuilleton/
Kinderbücher sind voll von Gespenstern und Dämonen. Mit der Lust an der Angst lernen Kinder auch mit realen Ängsten und Nöten umzugehen.
Neil Gaiman: Coraline. Aus dem Amerikanischen von Cornelia Krutz-Arnold. Arena-Verlag, Würzburg 2009 (Verfilmung: Coraline. USA 2008. Regie und Buch: Henry Selick / DVD 2011).
Brian Selznick: Wunderlicht. Aus dem Amerikanischen von Uwe-Michael Gutzschhahn. Verlag CBJ, München 2012 (Verfilmung: Wonderstruck. USA 2017. Regie: Todd Haynes. Drehbuch: Brian Selznick)
Neal Shusterman: Kompass ohne Norden. Mit Illustrationen von Brendan Shusterman. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Hanser-Verlag, München 2018.
Lemony Snicket: Der Seufzersee. Eine Reihe betrüblicher Ereignisse. Band 3. Aus dem Amerikanischen von Klaus Weimann. Mit Illustrationen von Brett Helquist. Verlag CBJ, München 2009.
Das Verhältnis zwischen Schriftsteller:innen und ihren Figuren ist manchmal ganz schön vertrackt. Wer treibt da eigentlich wen? Es gibt die literarischen Autokraten, die ihre Charaktere flach auf dem Papier halten. Und dann die Autorinnen und Autoren, die das Gefühl haben, sogar den Alltag mit ihren Figuren zu teilen. Welche Fraktion ist grösser?
«‹Sie sind Kleiderbügel!› – ‹Nein, sie leben.›» Neue Zürcher Zeitung 14.3.2020, S. 39. Online-Titel (16.3.2020): «Wer treibt da wen? Das Verhältnis zwischen Schriftstellern und ihren Figuren ist manchmal ganz schön vertrackt.» nzz.ch/feuilleton/
«Wir alle sind Fiktion, aber das glauben wir nicht, weil wir uns mitten in ihr befinden wie in einem Fortsetzungsroman», meint Doris Dörrie in ihrer wunderbaren Einladung zum Schreiben. Ja, denn das Leben schreibt keine Geschichten, die machen wir in unseren Köpfen. Deshalb ist Schreiben (und Lesen) gelegentlich sogar mehr als Leben.
Die deutsche Regisseurin und Schriftstellerin Doris Dörrie versteht sich auf Geschichten. In ihrer sehr persönlichen «Einladung zum Schreiben» geht sie von der einfachen wie eigenwilligen Prämisse aus, dass man beim Schreiben immer von sich spricht.
«In einem endlosen inneren Monolog erzählen wir uns Geschichten über uns selbst.» So kann alles zum Schreiben inspirieren. In kurzen, autobiografisch motivierten Textstücken macht es uns die Autorin vor. Ausgehend von Erinnerungsstücken, Momentaufnahmen, verloren geglaubten Kindheitsbildern oder wiederkehrenden Motiven hält sie Rückschau auf Lebensabschnitte, flüchtige oder prägende Episoden. Dabei entspinnen sich assoziative Erzählungen, lassen Gefühltes und Erlebtes aufscheinen und verweben früher und jetzt. Mit jedem Blick in die eigene Schatzkiste zaubert die Autorin beispielhaft etwas hervor, holt es schreibend ans Licht und fordert ihre Leserinnen und Leser anschliessend dazu auf, es ihr gleichzutun.
Daniel Ammann, 28.2.2020
Doris Dörrie Leben, schreiben, atmen: Eine Einladung zum Schreiben. Zürich: Diogenes, 2019. 277 Seiten.
«Stell dir vor, es ist Text, und keiner liest ihn.» ph akzente 2 (2011): S. 41
Wolf Schneider Deutsch für junge Profis: Wie man gut und lebendig schreibt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 2011. 191 Seiten.
Wolf Schneider schreibt zwar immer wieder das gleiche Buch, aber er tut dies kurzweilig und prägnant. 50 Regeln waren es in Deutsch fürs Leben, 44 Empfehlungen in Deutsch!. Für junge Profis hat der Altmeister seine Maximen nun auf 32 Rezepte eingekocht. Wer diese beherzigt, schreibt klar und verständlich und zollt damit seinen Leser:innen Respekt. Ganz ohne Plage geht das zwar nicht, warnt Schneider, aber er verlangt nicht Unmögliches. Präzis und prall sollen die Wörter sein, schlank und schlicht die Sätze. Ob wir bloggen, mailen, simsen oder wissenschaftlich schreiben: Wer gelesen werden will, macht es seinem Publikum nicht unnötig schwer. Für aufgemotzte Modewörter und abgeleierte Adjektive gibt es deshalb Rote Karten. Schneider wettert gegen bemooste Textbausteine, spiesst die Hängebäuche eingeschobener Nebensätze auf und erklärt dem akademisch-bürokratischen Imponiergehabe den Krieg. Einfach-drauflos-Schreiber nimmt er ebenso ins Visier wie verkorkste Germanisten oder Grossmeister des Marketing-Jargons. Da schiesst Schneider dann gerne mal übers Ziel hinaus. Liebe deinen Leser wie dich selbst, lautet die forsche Botschaft. Dabei prangert der Stilpapst nicht nur an: Er praktiziert auch, was er predigt. Seine Prosa hat Pfeffer und Pfiff und putscht selbst ältere Profis auf. – Daniel Ammann, ph akzente 2 (2011): S. 41.