Zu den TV-Zitaten kommt ab heute eine neue Rubrik mit Schreibzitaten hinzu. Den Anfang macht Rolf Lappert mit einer Textstelle aus seinem Roman Auf den Inseln des letzten Lichts (Hanser, 2010. / München: dtv, 2012). Mit im Bild: meine alte Schreibmaschine Jahrgang 1917. An einer anderen Stelle kommt auch in diesem Roman eine «tonnenschwere Underwood» vor.
Alles auf A. Oder: T wie Tautogramm
Das Tautogramm ist ein Text, in dem alle Wörter mit dem gleichen Buchstaben beginnen. Alle. Ausnahmslos. Also aufgepasst!
Zum ersten Mal bewusst auf ein Tautogramm gestossen bin ich in David Lodges Ausführungen in The Art of Fiction (Penguin 1992), das ich für den Haffmans Verlag übersetzen durfte. In Kapitel 22 weist Lodge unter anderem auf den 1974 erschienenen experimentellen Roman Alphabetical Africa von Walter Abish hin. Dieser beginnt so:

Nur das erste und das letzte Kapitel sind wirklich Tautogramme. Im zweiten Kapitel kommt nämlich bereits der Buchstabe B ins Spiel, im dritten das C, und so weiter, bis das Alphabet komplett ist. Dann wird kapitelweise zurückbuchstabiert, bis wir am Schluss wieder bei A landen.
Zum Glück zitiert Lodge zur Illustration nur einen kurzen Absatz, aber das ist für den unerfahrenen Übersetzer Ammann Herausforderung genug: «Abermals Afrika: Als Albert ankommt, angeregt argumentiert, afrikanische Ausstellungskunst abhandelt, an afrikanischer Angst, aber auch, ach, ausgerechnet Ashanti-Architektur angreift …» (Lodge, Die Kunst des Erzählens, S. 133).
Die Sache hat mich nie ganz losgelassen, und irgendwann wollte ich mich selbst an einer tautogrammatischen Geschichte versuchen. Das Ergebnis findet sich unter dem Titel «Adeles Aufstieg» in meinem kleinen Erzählband Der weisse Schatten (Magoria 2018, S. 39–42). Die Geschichte zählt 438 Wörter und beginnt so:
Adele Abderhalden, Adoptivtochter alteingesessener Apotheker aus Affoltern am Albis, arbeitet Anfang Achtzigerjahre aushilfsweise als Aupairmädchen aristokratischer Aargauer. Angenehme Aufgaben. Außerdem allerhand Annehmlichkeiten: aparte Attikawohnung, ausgedehntes Anwesen, Auto auf Abruf, allabendlicher Ausgang. Andererseits aufreibend. Arbeitgeber ausgesprochen angetan, aber arrogant. Aufgrund altertümlicher Auffassungen Adeles adrettes Aussehen als Aufforderung ausgelegt, also andauernde Anmache, Anzüglichkeiten aller Art, auch anstößige Anspielungen auf Adeles aufreizenden Arsch. Adele appelliert an Anstand. Aufdringliche Avancen ausdrücklich abgewiesen.
Dass sich so ein sperriger Text dennoch gut vorlesen lässt, hat Schauspieler Reto Stalder am ersten Schweizer Vorlesetag vom 23. Mai 2018 gezeigt.

Wenn man der Handlung folgt und nicht ständig auf die Anfangsbuchstaben achtet, funktioniert der Text tatsächlich als Geschichte. Als ausgefuchstes Anschauungsbeispiel aberwitziger Alliterationen verstösst das zwar gegen das erste Schreibgebot – aber schliesslich sind solche Gebote dazu da, lustvoll gebrochen zu werden.
P.S.
Bereits 1983 hat sich Hanna Muschg in der Zeitschrift Manuskripte am ersten Kapitel aus Abishs Roman versucht (Heft 79, S. 4). 2002 erscheint der Roman Alphabetisches Afrika bei Urs Engeler als zweisprachige Ausgabe mit der Übersetzung von Jürg Laederach.
In seinem Beitrag mit dem Titel «Die Übersetzung als fortgeführtes Sprachexperiment» hat sich Robert Leucht unter anderem mit diesen Übersetzungen befasst (ZiG – Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 7/2016/H1. Hrsg. v. Dieter Heimböckel, Georg Mein, Gesine Lenore Schiewer u. Hein Sieburg. Bielefeld: transkript, 2016. S. 11–31.)
Gebrochene Gebote #7 – Nie übertreiben!
Dieses ewige Übertreiben und Dramatisieren schlägt dem Fass den Boden aus. Alles und jedes wird bis zum Exzess überspitzt. Das absolute Nonplusultra lässt sich in den meisten Fällen gar nicht mehr toppen. Stilistisch ist damit immer der tiefste aller Tiefpunkte erreicht.
Gendersprache
«Spielt es eine Rolle, ob ein Wort Rock oder Hose trägt?»
Typografische Verrenkungen machen die Welt nicht gerechter. Bei Lehrer*innen und Freund_innen werden die flexionslosen Männer sogar unterschlagen. Selbst Doppelnennungen sind nicht neutral, denn semantische Oppositionen unterstreichen den Gegensatz und schliessen alles aus, was dazwischenliegt. Als Sprachmonarch·in würde ich verfügen, dass wir uns wenigstens die Pluralformen teilen. Obgleich sie weiblich sind, wie ihre Pronomen zeigen. Zudem ist es diskriminierend, wenn weibliche Endungen nur an männliche angekoppelt werden. Das ist mehr Geschlecht als gerecht. Wer möchte denn Anhängsel sein?
Aber spielt es eine Rolle, ob ein Wort Rock oder Hose trägt? Nehmen wir uns an Hoheiten (f), Gästen (m) und Mitgliedern (n) ein Beispiel und benennen dann beide (und mehr) Geschlechter, wenn sich im Kopf auch Bilder einstellen. Beim Lehrerzimmer geht es ums Zimmer, beim Schülerbuch ums Buch. Oder sagen wir Bäuerinnen- und Bauernhof und lassen die Tiere selbstredend weg? Bei aller Silbenakrobatik zählen in Texten schliesslich Kürze und Klang. Konzentrieren wir uns nebst Sexus und Genus auf Gehalt, Gesinnung und Genuss.
Apropos Gleichbehandlung: Die Frau des Königs wird Königin tituliert. Der Gatte der Queen ist nur ein Prinz. Klingt nach ausgleichender Gerechtigkeit, aber der Grund ist ernüchternd: Ein König ist ranghöher als eine Königin. Wie es bei den Royals mit Lohngleichheit und Vaterschaftsurlaub aussieht, weiss ich hingegen nicht.
Daniel Ammann
Erschienen in: ph inside 1 (März 2018): S. 19.
Zum Download.
Juxtaposition: Under the Typewriter
Reviewing Rebel in the Rye, Danny Strong’s biopic about J.D. Salinger and the genesis of his exceptional novel The Catcher in the Rye, film critic Carrie Rickey states that «few movie genres are more challenging to the filmmaker than the literary biopic» (Truthdig, 8. Sept. 2017). On the whole, she finds the movie «singularly un-cinematic» and points out that «struggling for a new angle on the writer at his instrument, Strong puts the camera under Salinger’s typewriter, framing the writer’s face through the keys.»
Not quite true. We’ve seen something similar before … namely in Wim Wender’s semifictional biopic Hammett (based on Joe Gores’ novel by the same title).
Verwirrung durch Überfülle
In Träumen, dem fünften Band seines autobiografischen Grossprojekts, berichtet der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård von seiner Zeit in Bergen und wie er dort nach dem Besuch der Akademie für Schreibkunst immer wieder im Schreiben scheitert, dann anfängt Literaturwissenschaft zu studieren, wieder aufgibt und doch unbeirrt von einer Karriere als Schriftsteller weiterträumt. Das Verfassen von Essays, Literaturkritiken und Seminararbeiten scheint ihm dabei einfacher von der Hand zu gehen:
Beim Verfassen von Hausarbeiten lief alles darauf hinaus, möglichst zu verbergen, was man nicht wusste. Dazu diente eine bestimmte Sprache, eine bestimmte Technik, und ich beherrschte sie. Zwischen den Dingen gab es Abgründe, die diese Sprache verdecken konnte, wenn man erst einmal gelernt hatte, wie es funktionierte.
Aber diese Selbstsicherheit hält nicht an. Als ihm bei einer späteren Hausarbeit nur noch wenige Wochen bis zum Abgabetermin bleiben, hat er erst wenige Seiten verfasst.
Schlimmer war jedoch, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich vorgehen sollte. Der Stoff wuchs und expandierte, aber es fehlte der Zusammenhang, die einzelnen Fäden erstreckten sich in alle Richtungen, und die Gewissheit, dass ich nicht nur den Überblick über sie behalten, sondern sie auch zu einer klaren Linie bündeln musste, versetzte mich in Panik.
Der Schreibforscher Hanspeter Ortner spricht in diesem Zusammenhang von embarras de richesse, also einer «Verwirrung durch Überfülle» (Ortner, Schreiben und Denken). Die kognitive Überlast blockiert den Schreibprozess ebenso wie die sprichwörtliche Angst vor dem leeren Blatt. Aber ihr ist vermutlich leichter beizukommen. Denn wer nichts zu sagen hat und unter einem Mangel an Material leidet, muss sich erst auf die Suche machen: lesen, recherchieren, Hypothesen entwickeln, Ideen generieren. Wer hingegen über zu viel Material verfügt, muss lediglich auswählen und eingrenzen. – Wenn das so einfach wäre!