Wunderjahr 1922
«Wunderjahr.»
Akzente 3 (2023): S. 35.
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1922 gilt als Annus mirabilis der Literatur. Der Ulysses von James Joyce und T. S. Eliots The Waste Land werden in einem Atemzug genannt. Innovativ, experimentell und in ihrer Vielstimmigkeit modern muten diese Titel heute noch an. So auch Mrs. Dalloway. Virginia Woolfs Roman erscheint zwar drei Jahre später, aber seine Entstehung fällt ebenfalls ins Jahr 1922. Dank der frischen Übersetzung von Melanie Walz darf dieses Meisterwerk nun wieder neu entdeckt werden (Manesse, 2022).
In seinem erzählenden Sachbuch 1922 (Luchterhand, 2022) nimmt Norbert Hummelt neben Joyce, Eliot und Woolf auch den damals im Wallis lebenden Dichter Rainer Maria Rilke in den Blick. In einem kalendarischen Kaleidoskop fügt Hummelt biografische Momentaufnahmen zu Mosaiken zusammen und lässt uns hautnah ins Wunderjahr der Worte eintauchen.
Wer hätte geahnt, dass sich 100 Jahre später noch ein Schweizer dazugesellt – kurz nachdem man die Zweihunderternote mit seinem Konterfei aus dem Verkehr gezogen hat. Sturz in die Sonne (Limmat, 2023) des Waadtländer Autors C. F. Ramuz erscheint jetzt erstmals auf Deutsch. Dass Ramuz damit den Klimaroman vorwegnehme, stimmt nur bedingt. Die apokalyptische Geschichte handelt eher von der in atavistische Aggression umschlagenden Apathie der Menschen im Angesicht des Todes. Durch einen Unfall im Gravitationssystem gerät die Erde aus ihrer Umlaufbahn und nimmt Kurs auf die Sonne.
– Daniel Ammann
Literaturangaben
Virginia Woolf
Mrs. Dalloway.
Aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz.
München: Manesse, 2022. 400 Seiten.
Norbert Hummelt
1922.
München: Luchterhand, 2022. 416 Seiten.
C. F. Ramuz
Sturz in die Sonne.
Übersetzt von Steven Wyss.
Zürich: Limmat, 2023. 192 Seiten.
Matthew Quick: Schildkrötenwege
Rezension
Buch & Maus 3 (2018): S. 36.
Matthew Quick.
Schildkrötenwege oder Wie ich beschloss, alles anders zu machen.
Aus dem amerikanischen Englisch von Knut Krüger.
München: dtv, 2018. 298 Seiten.
Estelle Laure: Während ich vom Leben träumte
Rezension
NZZ am Sonntag 24.6.2018, Literaturbeilage «Bücher am Sonntag», S. 12.
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Estelle Laure.
Während ich vom Leben träumte.
Aus dem Amerikanischen von Sophie Zeitz.
Frankfurt/M.: Fischer KJB, 2018. 299 Seiten. Ab 14 Jahren.
Barry Jonsberg: Das ist kein Spiel
Rezension
Buch & Maus 1 (2018): S. 34
sikjm.ch/rezensionen
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Barry Jonsberg.
Das ist kein Spiel.
Aus dem Englischen von Ursula Höfker.
München: cbt, 2017. 319 Seiten.
Lesen auf eigene Gefahr
Widerwillig begibt sich die Schulklasse in die miefige Stadtbibliothek. Eine unscheinbare Autorin beginnt hinter einem Vorhang fettiger Haare zu lesen. Keiner hört richtig zu, ausser der vierzehnjährigen Kim, die sich in der Geschichte sofort wiedererkennt. Das sind doch ihre Worte, ihre Gedanken! Diese Schriftstellerin hat ihr Leben geklaut.
Was als Parodie und Kritik hilfloser Bildungsbeflissenheit beginnt, macht Alina Bronsky schon nach wenigen Seiten zu einem verstörenden Leseabenteuer. Für die Ich-Erzählerin Kim sind die Parallelen zu ihrem richtigen Leben eine Kampfansage. Sie muss der Sache auf den Grund gehen. Weil in dem Buch jedoch Dinge stehen, die erst passieren werden, traut sie sich gar nicht, bis zum Ende zu lesen. Kims beste Freundin Petrowna, eine körperlich wie geistig überragende Erscheinung, bleibt zwar skeptisch («Hast du überhaupt schon einmal ein Buch angefasst?»), entwickelt aber bald einen Plan, wie sich Kim aus den Fängen der Fiktion befreien kann. Um das Leben einer Romanfigur (und eines Mitschülers) zu retten, ist den beiden Teenagern jedes Mittel recht.
Nach den dystopischen Fantasyromanen Spiegelkind und Spiegelriss (der letzte Teil der Trilogie steht noch aus) ist dies Alina Bronskys erstes «realistisches» Jugendbuch. Mit seinem frech-witzigen Erzählton und eigenwilligen Charakteren knüpft es direkt an Scherbenpark (2008) und Nenn mich einfach Superheld (2013) an. Beide Romane waren zwar in einem Programm für Erwachsene erschienen, erreichten mit ihren 17-jährigen Protagonisten aber auch ein jugendliches Publikum. Scherbenpark war für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und wurde erfolgreich fürs Kino adaptiert.
Für das etwas jüngere Zielpublikum zeichnet Alina Bronsky in ihrem neuen Roman ein weniger hartes Bild der Wirklichkeit. Dennoch haben ihre jugendlichen Heldinnen neben der Selbstfindung auch diesmal mit Scheidungseltern, sozialen Spannungen und kultureller Integration zu kämpfen. Und wiederum weisen Bildung und Freundschaft den Weg in eine bessere Welt.
Daniel Ammann
Erschienen in:
NZZ am Sonntag 10.12.2017, Literaturbeilage «Bücher am Sonntag», S. 13.
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Alina Bronsky.
Und du kommst auch drin vor.
München: dtv, 2017. 190 Seiten. Ab 12 Jahren.