Viele Romane beginnen damit, dass sich jemand mit Namen vorstellt, aber die eigene Identität rundweg zu leugnen, ist ein Paukenschlag. Stiller oder nicht Stiller, das ist hier die Frage.

«Der Beginn eines Textes ist nie unschuldig oder spontan, er gehorcht mindestens dem Kalkül des Effekts und häufig dem Wissen über das, was folgt», so der Germanist Peter-André Alt in seinem Buch über erste Sätze der Weltliteratur. Wer den ersten Satz mehr oder weniger dem Zufall überlässt, vergibt sich also eine Chance. Das muss auch dem Schriftsteller Max Frisch klar gewesen sein. Der berühmte erste Satz, wie wir erfahren, wurde erst nachträglich in die Druckfahnen eingefügt.
Wie sehr so ein Satz verfängt, bekam Max Frisch immer wieder zu spüren. Der Autor, wie Julian Schütt in Max Frisch: Biographie einer Instanz (Suhrkamp 2025) schreibt, «hat oft erklären müssen, er sei nicht Stiller oder Faber». Oder wie Anatol Stiller alias Jim White im Roman sagt: «wie soll einer denn beweisen können, wer er in Wirklichkeit ist?»
PS Mitte Oktober kommt Stefan Haupts Filmadaption Stiller in die Schweizer Kinos. Englischer Verleihtitel: I’m Not Stiller – und nein, in der Hauptrolle ist nicht Ben Stiller zu sehen, sondern Albrecht Abraham Schuch.
Daniel Ammann, 8.8.2025

Max Frisch
Stiller. [1954]
Berlin: Suhrkamp, 2023. 448 Seiten.