Rot und Schwarz

Rot und Schwarz

Das Kino nimmt sich immer mal wieder die unrühmlichen Kapitel der Geschichte vor. So erinnert man sich an Alan J. Pakulas All the President’s Men (1976) oder wartet gespannt auf den neuen Steven-Spielberg-Film The Post, der Anfang nächsten Jahres in die Kinos kommt. Aber nicht nur Watergate-Skandal und Vietnam-Krieg liefern Stoff für die grosse Hollywood-Leinwand, manchmal auch das Kino selbst. Im Biopic Trumbo zeichnet Regisseur Jay Roach die wechselhafte Karriere des erfolgreichen Drehbuchautors Dalton Trumbo (1905–1976) nach und unternimmt den Versuch, einen durch die McCarthy-Ära geächteten Schriftsteller zu rehabilitieren. Trumbo (brillant verkörpert von Breaking Bad-Star Bryan Cranston) zählt in den 1940er-Jahren zu den gefragten Drehbuchlieferanten. Durch seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei gerät er aber bald ins Visier von Senator McCarthy und dessen «Komittee für unamerikanische Aktivitäten». Die Folgen sind Berufsverbot, öffentliche Demütigung und sogar eine Gefängnisstrafe, weil er sich weigert, seine Kollegen zu denunzieren. Trumbo arbeitet über Strohmänner weiter und gewinnt unter falschem Namen sogar zwei Oscars.

Laut Filmabspann bleibt das Komitee für unamerikanische Umtriebe noch bis 1975 aktiv. Erst in diesem Jahr wird Dalton Trumbo teilweise rehabilitiert und bekommt den Drehbuch-Oscar für The Brave One (dt. «Roter Staub», 1956). Die Auszeichnung für seine Mitarbeit an William Wylers Roman Holiday (dt. «Ein Herz und eine Krone», 1953) kann Trumbos Witwe Cleo erst 1993 entgegennehmen.
Filmische Geschichtslektionen dieser Art leisten einen anschaulichen Beitrag zur politischen Bildung und regen für einmal nicht nur aufgrund der Fakten, sondern durch die emotionale Identifikation mit Betroffenen zur Diskussion an. Ein besonders eindrückliches Beispiel stellt der Film Hidden Figures von Theodore Melfi dar.

Erzählt wird die Geschichte dreier afroamerikanischer Frauen, die während des Kalten Krieges und in Zeiten massiver Rassentrennung und Bürgerrechtskämpfe bei der Weltraumbehörde als Mathematikerinnen arbeiten. Eine von ihnen, Katherine G. Johnson, liefert Formeln und Berechnungen, die wesentlich dazu beitragen, dass die USA den Wettlauf zum Mond gewinnen und damit Präsident John F. Kennedys berühmtes Versprechen einlösen. Nach ersten Erfolgen der Sowjets liess dieser 1961 verlauten, noch vor Ablauf des Jahrzehnts solle ein US-Amerikaner den Mond betreten und gesund wieder auf die Erde zurückkehren. 2015 wird die 97-jährige Katherine Johnson von Präsident Obama mit der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet und erhält 50 Jahre nach ihrem Einsatz für das US-amerikanische Raumfahrtprogramm eine der beiden höchsten zivilen Auszeichnungen.
Beide Filme liefern zwar mehr Unterhaltungskino als beissende Gesellschaftskritik, setzen zuweilen auf komödiantische Elemente, aber vielleicht ist dies in Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit auch als Signal für Menschlichkeit zu werten.

Daniel Ammann

«Rot und Schwarz: Zeitgeschichte im Unterhaltungskino.»
Akzente 4 (27.11.2017).

blog.phzh.ch/akzente/2017/11/27/rot-und-schwarz/
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Trumbo.
USA 2015. Regie: Jay Roach.
Zürich: Ascot Elite, 2016. DVD.

Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen.
USA 2016. Regie: Theo­dore Melfi.
Frankfurt/M.: Twentieth Century Fox Home Entertainment, 2017. DVD.

Genius

Genius

Spielfilme über Schriftsteller und das Schreiben gibt es zu Hauf. Aber meistens wird in diesen Filmen wenig bis gar nicht geschrieben.In kurzen Sequenzen hämmern Autorinnen und Autoren auf die Tasten der Schreibmaschine oder kritzeln in einem Schreibanfall Papiere voll. Über die langwierigen und wechselhaften Schreibprozesse und darüber, wie ein guter Text entsteht, ist aus solchen Annäherungen in der Regel wenig zu erfahren. Eine Ausnahme bilden jene Biopics, die einen Schriftsteller oder eine Schriftstellerin ins Zentrum rücken und deren Suche nach einer eigenständigen Stimme und den Kampf um literarische Anerkennung näher beleuchten. Genius von Michael Grandage ist so ein Beispiel, auch wenn der Film dann eher für ein Publikum von Interesse ist, das sich für den eigenwilligen Schriftsteller Thomas Wolfe (Jude Law), dessen Lektor Max Perkins (Colin Firth) oder für die US-amerikanische Literaturgeschichte der ausgehenden 1920er-Jahre interessiert.


Max Perkins (1884–1947) hat beim New Yorker Verlagshaus Charles Scribner’s Sons belletristische Grosskaliber wie Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald aufgebaut und seinen Autoren auch bei Gegenwind die Treue gehalten. Auf der Grundlage von A. Scott Bergs Biografie Max Perkins: Editor of Genius zeichnet der Film Stationen des Ausnahmetalents Thomas Wolfe auf dem Weg zum Erfolg und bis zu seinem frühen Tod 1938 nach. Im Zentrum steht dabei die enge Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen dem impulsiven Autor und seinem legendären Lektor. Genius erzählt, wie Perkins den jungen Wolfe 1929 unter seine Fittiche nimmt und dessen spätere Erfolge Look Homeward, Angel (1929; dt. Schau heimwärts, Engel) und Of Time and the River (1935; dt. Von Zeit und Fluss) herausbringt. Doch vorerst müssen die überbordenden Manukripte massiv gekürzt und in marktfähige Bücher verwandelt werden. Keine leichte Aufgabe, selbst für den erfahrenen Verlagsmann, denn Wolfe hängt an seinen Formulierungen und ist immer wieder versucht, seinem umfangreichen Text noch weitere Absätze hinzuzufügen. Perkins muss den empfindsamen Autor schonend, aber bestimmt davon überzeugen, dass Umstellungen und Kürzungen notwendig sind, um aus dem Konvolut loser Blätter einen Roman zu destillieren. «Meine Aufgabe», betont er, «meine einzige Aufgabe ist es, dem Leser gute Bücher in die Hand zu geben.» Da müssen unter Umständen schon mal 300 Seiten geopfert werden, denn: «Wichtig ist nicht die Seitenzahl, sondern wie die Geschichte erzählt wird.»

Daniel Ammann

«Genie am Werk.»
Akzente 2 (23.5.2017).

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Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft.
USA 2016. Regie: Michael Grandage.
Zürich: Ascot Elite Home Entertainment, 2017. DVD.

Unkreativ kreativ

Sampeln, abschreiben, covern und remixen. Sieht so die neue Kreativtiät aus? In einer Erzählung von Jorge Luis Borges schreibt Pierre Menard den Don Quijote Wort für Wort neu. Die Doppelschöpfung ist textlich nicht vom Original zu unterscheiden, wirkt aber postmodern raffiniert. Wie wir kreativ unkreativ mit dem kulturellen Erbe umgehen können, beleuchtet der konzeptionelle Dichter und Dozent Kenneth Goldsmith in seinem provokativen Essayband Uncreative Writing (Matthes & Seitz 2017). Von seinen Studierenden verlangt er einen Leistungsnachweis, den sie nicht selbst formulieren. Vielmehr müssen sie sich Bestehendes kreativ zu eigen machen. Gold­smith selber hat in einer Aktion die täglichen Wetterprognosen der New York Times abgetippt und als Buch herausgebracht.

Auch der jugendliche Protagonist in Cory Doctorows Roman Pirate Cinema (Heyne 2014) montiert Filmclips zu hintersinnigen Mashups. Die Meisterwerke stossen  auf Anklang, sorgen bei den Gesetzeshütern aber für Ärger. Der Regisseur ohne Kamera taucht ab und setzt seinen Kampf für faire Nutzungsrechte aus dem Untergrund fort. «Schafft eure eigene Kunst. Kreativität heisst nur zu ver­einen, was noch niemand bisher vereint hat.»

Weniger riskant geht Regisseur Carl Reiner ans Werk. Für seinen Spielfim Dead Men Don’t Wear Plaid (USA 1982; dt. Tote tragen keine Karos) hat er sich bei 18 Klassikern aus den 40er- und 50er-Jahren be­dient und die Ausschnitte mit einer parodistischen Handlung kombiniert. Die kreative Rekontextualisierung haucht den Versatzstücken neues Leben ein. Das ist nicht nur witzig und frech, sondern durchaus erlaubt.

Daniel Ammann, 23.5.2027

«Unkreativ kreativ.»
Akzente 2 (2017): S. 39.
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Kenneth Goldsmith
Uncreative Writing: Sprachmanagement im digitalen Zeitalter.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hannes Bajohr und Swantje Lichtenstein.
Berlin: Matthes & Seitz, 2017. 352 Seiten.

Cory Doctorow.
Pirate Cinema.
Aus dem Amerikanischen von Oliver Plaschka.
München: Wilhelm Heyne, 2014.  
510 Seiten. Ab 14 Jahren.

Dead Men Don’t Wear Plaid.
USA 1982.
Regie: Carl Reiner.

Magoria by Daniel Ammann