Benedict Wells meets Charles Simmons

Spätestens seit Umberto Eco wissen wir, dass Bücher miteinander sprechen, auch wenn sie zur Übermittlung menschlicher Leserinnen und Leser bedürfen. Wie sagt William von Baskerville in Der Name der Rose so schön? «Mir scheint, als ob ich einige dieser Worte schon irgendwo gelesen hätte, sie erinnern mich an ähnliche, die ich früher gehört habe.»

Benedict Wells meets Charles Simmons

In seinem Buch Die Geschichten in uns (Diogenes 2024) verrät uns Bendedict Wells in einem Unterkapitel mit der Überschrift «Steal your darlings» in einer Fussnote, dass es sich beim ersten Satz seines Romans Hard Land (Diogenes 2021) um «eine Variation des ersten Satzes aus der Novelle Salzwasser (Orig. Salt Water, 1998) von Charles Simmons handelt. Ohne Vorbilder und kreative Imitation könnten Autorinnen und Autoren wohl kaum einen unverwechselbaren Stil entwickeln oder ihre eigene Stimme finden. Nur durch Nachahmung kann sich Literatur zu neuen Höhen aufschwingen.

David Lodge hat es schon richtig gesagt: Man kann keinen Roman schreiben, wenn man nicht mindestens einen – besser noch ganz viele – gelesen hat:

How does one become a writer? One thing is certain: nobody ever wrote a book without having read at least one – and more probably hundreds – of approximately the same kind. Most writers [...] begin by imitating and emulating the literature that gives them the biggest kicks. [...] And it is from reading that you acquire basic knowledge of the structural and rhetorical devices that belong to a particular genre or form of writing. To a large extent this learning process is intuitive and unconscious, like learning the mother tongue.

David Lodge, The Practice of Writing (1996, 171)

Nicht nur die KI, auch wir «trainieren» uns an Texten (gleichwohl auf ganz andere Weise). Und die Leser:innen und Kritiker:innen (oder die Gerichte) müssen dann entscheiden, ob die entstehenden Texte bloss mehr vom Gleichen sind oder doch etwas Neues in die Welt bringen. Nicht nur die Wissenschaftler:innen, auch Künstlerinnen und Künstler stehen auf den Schultern von Riesen.

7.–10.12.2024

Magoria by Daniel Ammann