Sprechende Handpuppen

Sprechende Handpuppen

    

Ein verschrobener Lehrer mit Flair für Sprachgeschichte und nordische Mythen besucht für sein Leben gern Beerdigungen. Da er die Verstorbenen nicht persönlich kennt, denkt er sich einfach Geschichten aus und gibt sich bei den Traueressen als vertrauten Freund der Fremden aus. Doch das ist nicht die einzige Marotte des einsamen Ich-Erzählers in Jostein Gaarders neuem Roman Ein treuer Freund (Hanser 2017). Auch Jacops langjähriger Weggefährte und Vertrauter ist nicht von dieser Welt. Bei Pelle handelt es sich um eine sorgfältig gestaltete Handpuppe, die sich die Stimme ihres Besitzers ausleiht und diesen mit ihrer frechen Art ab und zu in Verlegenheit bringt.


Screenshot aus The Beaver (Mel Gibson und Jodie Foster).

Der depressive Spielzeughersteller Walter Black (Mel Gibson) in Jodie Fosters Spielfilm The Beaver (USA 2011) findet nach einem Zusammenbruch ebenfalls Trost bei einer Handpuppe. Die Biber-Figur mit Cockney-Akzent übernimmt für den verstummten Walter aber nicht nur das Sprechen, sondern stellt sein ganzes Leben auf den Kopf. So weiss sich Walter am Ende nur noch durch eine drastische Aktion von seinem tyrannischen Fantasiefreund zu befreien.


Screenshot aus What About Bob? (Richard Dreyfuss und Kathryn Erbe).

Dass wir in Gegenwart von Marionetten, Kasperlefiguren und Bauchrednerpuppen Hemmungen und Widerstände ablegen, macht sich auch Dr. Leo Marvin (Richard Dreyfuss) in What About Bob? zunutze (USA 1991). Die Leitfigur mit den Gesichtszügen des Psychiaters kommt zum Einsatz, als dieser seine grosse Tochter zu therapieren versucht. Sie bietet ihm mit ihrer eigenen Puppe Paroli, bevor sie die Doppelgängerin wütend von sich weist und davonstürmt.

Daniel Ammann

Erschienen in: Akzente 3 (2017): S. 35 und online.

Siehe auch «Panoptikum der Phantasiegefährten» in der NZZ vom 26./27.9.2015: S. 51–51.

Malen und Schreiben

«Ich würde gern so malen können, wie du schreibst», sagt Paul Cézanne (im Film Cézanne et moi) zu seinem Freund Émile Zola.

Und vierzig Jahre später schreibt Ernest Hemingway an Gertrude Stein und Alice B. Toklas, dass er Landschaften so beschreiben möchte, wie Cézanne sie malt.

Neue Briefromane

Neue Briefromane

«E-Mails à gogo.»
Akzente 2 (2023): S. 35.
blog.phzh.ch/akzente/2023/05/23/e-mails-a-gogo
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Der Briefroman feiert ein Comeback und schlägt mit digitalem Pingpong ein zeitgemässes Tempo an. Daniel Glattauers E-Mail-Romanze Gut gegen Nordwind hat es inzwischen ins Kino und zu Netflix geschafft (Vanessa Jopp, 2019).

Ein schonungslos ehrlicher Briefwechsel, so heisst es in Zwischen Welten von Juli Zeh und Simon Urban, sei eine interessante Sache, man lerne eine Menge über sich selbst und die anderen (Luchterhand, 2023). Das gilt, wie der unzimperliche Titel vermuten lässt, auch für Liebes Arschloch von Virginie Despentes (Kiepenheuer & Witsch, 2023). Da wie dort nehmen die Figuren kein Blatt vor den Mund und verhandeln persönliche Midlife-Krisen und gesellschaftliche Themen unserer Zeit mit gnadenloser Direktheit.

Ebenso frisch und frech, aber weniger abgeklärt klingt es in Holly Goldberg Sloans und Meg Wolitzers turbulentem Jugendroman An Nachteule von Sternhai (Hanser, 2019). «Ich kenne dich nicht», beginnt die abenteuerlustige Bett ihre Mail an die altkluge und von Lebensängsten geplagte Avery. «Aber ich schreibe dir trotzdem.» Tatsächlich dreht sich zu Beginn alles darum, dass die zwölfjährigen Girls nichts miteinander zu tun haben wollen. Nur weil ihre alleinerziehenden Väter sich ineinander verliebt haben, muss das noch lange nicht bedeuten, dass die beiden Töchter sich kennenlernen und gleich Schwestern werden wollen. Ein fulminanter Auftakt, der hält, was er verspricht.
– Daniel Ammann

Literaturangaben

Gut gegen Nordwind.
Regie: Vanessa Jopp.
Deutschland 2019.
DVD Sony Pictures Home Entertainment und Netflix.

Juli Zeh und Simon Urban
Zwischen Welten.
München: Luchterhand Literaturverlag, 2023. 446 Seiten.

Virginie Despentes
Liebes Arschloch.
Aus dem Französischen von Ina Kronenberger und Tatjana Michaelis.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2023. 336 Seiten.

Holly Goldberg Sloan und Meg Wolitzer
An Nachteule von Sternhai.
Aus dem Englischen v. Sophie Zeitz.
München: Hanser, 2019. 288 Seiten.
Ab 10 Jahren.

Synchronesisch

Synchronesisch

«Bastardwendungen oder cooles Alltagsdeutsch? Wie Synchronesisch unsere Sprache beeinflusst.»
Sprachspiegel 1 (2024): S. 2–19. 

Im «Sprachspiegel» (1/2024, S. 2–19) habe ich mich mit dem Phänomen «Synchronesisch» (engl. dubbese) und seinen Wechselwirkungen mit der Alltagssprache (und dem, was Eike Schönfeld «Bastard­wendungen» nennt) auseinandergesetzt. Dabei werfe ich am Beispiel einer Episode aus der Netfllix-Serie Designated Survivor (2016–2019) auch einen vergleichenden Blick auf die Untertitelung und schaue mir an, wie die literarische Übersetzer:innen von J. D. Salingers Klassiker The Catcher in the Rye (1951) mit dem Wörtchen «okay» umgehen.

Mehr zum Thema

Übersetzung und Synchronisation

 

Wenn die Lichter ausgehen

Wenn die Lichter ausgehen

«Wenn die Lichter ausgehen.»
Akzente 3 (2022): S. 39.
 blog.phzh.ch/akzente/2022/08/25/wenn-die-lichterausgehen/
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Blackout.
Deutschland 2021. Miniserie, 6 Folgen.
Regie: Lancelot von Naso.

Marc Elsberg
Blackout: Morgen ist es zu spät.
München: Blanvalet, 2021. 896 Seiten.

Don DeLillo
Die Stille.
Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert.
Köln: Kiepenheuer und Witsch Verlag, 2020. 112 Seiten.

Denis Newiak
Blackout – Nichts geht mehr: Wie wir uns mit Filmen und TV-Serien auf einen Stromausfall vorbereiten können.
Marburg: Schüren Verlag, 2022. 252 Seiten.

Magoria by Daniel Ammann